Bewusster träumen - Ein Buch für Traumjournalisten
Liebe Seth-Leserin, lieber Seth-Leser
Träume - eines der ganz großen Themen im Seth-Material!
"Das Studium des Traumuniversums bedarf auch einer Reise nach innen, durch das Unterbewusstsein hindurch und weiter. Es braucht auch eine gewisse Objektivität, da ihr versuchen müsst, euer eigenes Universum von der anderen Seite her zu betrachten."
Seth, Die frühen Sitzungen, Band 1
Wir freuen uns daher sehr, im Seth-Verlag das neue Buch von Christoph Gassmann - BEWUSSTER TRÄUMEN. EIN BUCH FÜR TRAUMJOURNALISTEN - veröffentlichen zu dürfen. Christoph Gassmann ist als Psychologe und Grafologe tätig und seit Jahrzehnten ein ausgewiesener Traumspezialist.
In BEWUSSTER TRÄUMEN zeigt er Wege und Möglichkeiten auf, wie man das eigene Träumen weg von einer eher zufälligen Angelegenheit zu einem nützlichen und anwendbaren Instrument entwickeln kann, um die Erfahrung des eigenen Seins zu erweitern. Dabei kann Christoph Gassmann auf jahrelange Traumarbeit und Traumforschung zurückgreifen. Für seine Traumarbeit stützt er sich als studierter Psychologe aber nicht nur auf klassische Texte wie etwa von Jung und Freud, sondern auch auf Bücher und Schriften von Seth und Elias.
Für Seth-Leserinnen und -Leser ist BEWUSSTER TRÄUMEN darum eine wirkliche Freude, da Christoph Gassmann die Buchkapitel jeweils mit passenden Zitaten aus den Seth-Büchern beginnt und dabei Themen behandelt wie Das träumende Bewusstsein, Das träumende Ich, Luzides Träumen, Gemeinsames Träumen usw.
Wir präsentieren Ihnen in diesem Newsletter das gesamte Inhaltsverzeichnis von BEWUSSTER TRÄUMEN. EIN BUCH FÜR TRAUMJOURNALISTEN sowie als Leseprobe Kapitel 6 über DAS TRÄUMENDE ICH.
Das Buch ist ab sofort in jeder Buchhandlung als Taschenbuch, aber natürlich auch auf Amazon - dort auch als Ebook - bestellbar.
Mit herzlichen Grüßen aus dem Seth-Verlag,
Maurizio Vogrig und Ursula Lang
BEWUSSTER TRÄUMEN - EIN BUCH FÜR TRAUMJOURNALISTEN
von Christoph Gassmann
Kapitel 6
DAS TRÄUMENDE ICH
Wenn ihr realisiert, dass ihr eure physische Realität mittels eurer Gedanken und Wünsche erschafft, dann habt ihr die wichtigsten Aspekte der Realität begriffen.
—Seth, Die frühen Klassensitzungen, Bd. 2, 3. Feb. 1970
Das „Ich“, das träumt und das sich der Bewegung, der Handlung und der Teilnahme an einem Traum gewahr ist, dieses „Ich“ ist natürlich das innere Selbst, das momentan auf jene besondere unterbewusste Ebene, welcher der Traum entstammt, fokussiert ist.
—Seth, Die frühen Sitzungen, Bd. 3, Sitzung 93
Es gibt eine Notwendigkeit, das innere Selbst zu entdecken und zu verstehen.
—Seth, Die frühen Sitzungen, Bd. 4, Sitzung 162
DIE IDENTITÄT DES TRAUM-ICHS
Als erstes möchte ich die Identität des Träumers im Traum etwas genauer anschauen. Das scheint auf den ersten Blick kein sehr sinnvolles Thema zu sein, denn es ist ja klar, wer das Traum-Ich ist – der Träumer natürlich. Doch bei genauerem Hinsehen gibt es da Variationen, die gerne übersehen werden.
Was relativ häufig vorkommt, ist ein Unterschied im Alter des Traum-Ichs im Vergleich zum Träumer. Zu erwähnen sind beispielsweise die Schul- und Prüfungsträume, in denen wir im Traum wieder in unser Jugendalter versetzt werden. Diese Verschiebung der Identität ist relativ bekannt, sowohl in der Literatur als auch im Allgemeinwissen über Träume. Fast jeder kann über einen solchen Traum berichten.
Ein weiterer Typ von Traum ist ebenfalls relativ gut bekannt: Der Träumer ist sich einer Szenerie gewahr, an der er aber nicht teilnimmt. Dieses Traumarrangement gleicht einem Kino, und so erstaunt es nicht, wenn der Träumer, der sich seiner distanzierten Sicht auf den Traum gewahr wird, gelegentlich dazu eine Kinoumgebung kontextualisiert. Nun kann es aber vorkommen, dass der Träumer durch die Szenerie derart negativ oder positiv angesprochen wird, dass er buchstäblich seine emotionale Distanz verliert und sich mit dem Protagonisten vollständig identifiziert. Er befindet sich dann plötzlich in der Szene und nicht mehr außerhalb, er ist dann diese andere Person, er beobachtet sie nicht mehr. Gelegentlich kann er aber auch gleichzeitig beide Positionen einnehmen, eine innerhalb der Szene und eine aus einer gewissen nüchternen Distanz.
So möchte ich zur Illustration einen Traum aus meinem Journal anführen: Die beste Freundin meiner Mutter, die in der ganzen Familie unter dem Namen „Giggi“ gut bekannt war, lag im Sterben. Ich sah sie von einem erhöhten Standpunkt in ihrem Bett liegen. Dabei fiel mir besonders ein Luftbefeuchtungsapparat auf, der neben ihr auf dem Beistelltisch stand… Nun war ich aber plötzlich selber Giggi und lag im Bett. Ich hörte die Stimme meiner Mutter, oder nun eben meiner besten Freundin, die von der Seite zu mir sprach.
Dieser einfache Traum zeigt deutlich den Perspektive-Wechsel innerhalb des Traumes. Am Anfang war ich einfach ein Beobachter, doch am Schluss war ich nicht Christoph, nein, ich war Giggi. Ich als Träumer habe das Geschlecht gewechselt und mich mit einer sterbenden Person identifiziert, weil mich dieses Thema anzog. Dabei hatte ich aber überhaupt nicht das Gefühl, ich sei jemand anderer, sondern war immer noch ganz selbstverständlich der „ich bin, der ich bin“. Ich war also keinesfalls verunsichert, es fiel mir im Traum nicht einmal auf, dass meine Identität gewechselt hatte. Das ist meiner Meinung nach auch der Grund, weshalb dieser Sachverhalt gerne übersehen wird.
Hier noch ein paar Beispiele, bei denen die veränderte Identität nur aus dem Kontext des Traumes erkennbar wird: Ich hatte einen Bruder, der war sehr kreativ, doch er kam auf die schiefe Bahn, wurde kriminell und war schließlich Mitglied der türkischen Mafia. Ich versuchte, Kontakt mit ihm zu halten, doch er wich mir immer freundlich aus. Wenn ich kam, ging er. Im Laufe der Zeit konnte ich doch einiges aus ihm herausholen, so dass ich wusste, dass er alleine lebte und in der Unterwelt eine relativ wichtige Rolle spielte… Ich möchte hier nicht den ganzen, recht langen Traum anfügen, er endete jedoch damit, dass der Bruder in einem Gefängnis exekutiert und in einem Hinterhof des Gefängnisses verscharrt wurde, weshalb es dort zu spuken begann. Festhalten möchte ich einfach, dass ich im Wachleben keinen Bruder und, Gott bewahre, keine Beziehung zur türkischen Mafia habe! So stellt sich nun die Frage, wer war ich dann im Traum?
In einem anderen Traum war ich im Irak und wollte dem Krieg entfliehen und die Grenze überqueren, doch der Zöllner ließ mich nicht durch, weil ich keine Erlaubnis vom Innenministerium hatte. Doch so wie der Zöllner mich anschaute, erkannte ich beim Aufwachen, dass ich im Traum eine junge Frau gewesen sein musste, denn er betrachtete mich so wie ein begehrender Mann eine Frau anschaut. Wiederum in einem anderen Traum war ich mit meiner Familie unterwegs auf einer Sightseeing Tour, bei der wir eine große Kirche besuchten. Ich war ein Jugendlicher und meine Eltern, wie auch meine Geschwister, waren Schwarze.
Ich könnte noch viele solche Beispiele anfügen, einige sind im Internet oder in meinem kleinen Büchlein „Nächtebuch“ zu finden. Meist erkannte ich meine veränderte Identität erst im Nachhinein aus dem Kontext des Traumes. In all diesen Träumen war es selbstverständlich, dass ich einfach ich selber bin. Früher ließ mich dieser Sachverhalt übersehen, dass ich im Traum jemand anderes war. Heute, setze ich mich intensiver mit dieser Frage auseinander und erkenne deshalb manchmal schon im Traum, dass ich eine andere Identität habe, aber das ist für mich immer noch genauso selbstverständlich und keineswegs beunruhigend.
THEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN
Es ist deshalb sinnvoll, von einer primären Identität und sekundären Identitätsmerkmalen zu sprechen. Die primäre Identität ist „ich bin, der ich bin“, das gewahrende und handelnde Bewusstsein, das eine bestimmte individuelle Perspektive einnimmt. Die sekundären Identitätsmerkmale definieren sich über äußere Eigenschaften wie Beziehungen zu anderen Menschen, Traumumgebung und ausgeübter Beruf usw. Zu den äußeren Merkmalen gehört aber offensichtlich auch die Geschlechtsidentität, was etwas erstaunen mag, da wir am Tag unsere Identität stark mit unserem Geschlecht verbinden. Nicht so aber in der Nacht. Sogar unsere menschliche Form, unser Körper, gehört im Traum zu den sekundären Identitätsmerkmalen, die austauschbar sind. Ich war zum Beispiel auch schon in einer fremden Welt ein intelligentes, echsenartiges Wesen, das auf seinem Rücken einen schildkrötenartigen Panzer trug. Auch war ich ein andermal ein Androide, der wohl Intelligenz und Empfindungsfähigkeit besaß, der jedoch in einer Fabrik hergestellt und nicht geboren worden war! Andere Träumer berichten, dass sie im Traum schon ein Tier waren. Gelegentlich kommt es auch vor, dass das träumende Ich sich als reines, form- und körperloses Bewusstsein erlebt. Luzide „Void“-Erlebnisse gehören dazu.
Ich habe mich im Internet in Traumforen etwas umgehört und musste erfahren, dass nicht alle Träumer diesen Sachverhalt kennen. Sicherlich übersehen einige ihren Wechsel der sekundären Identität, doch besteht auch die Möglichkeit, dass insbesondere jüngere Menschen sich im Traum stärker mit ihrer wachen Identität und ihren Merkmalen verbinden. Inge Strauch53 und andere konnten nachweisen, dass Träume von jüngeren Menschen wohl bizarrer sind, dass sie aber häufig mit Versatzstücken aus dem Wachleben gebildet werden. Die Träume älterer Leute hingegen sind realistischer, doch handeln sie in Umgebungen, die dem Träumer aus dem Alltag nicht bekannt sind. Auch die Traumpersonen, mit denen er in Beziehung tritt, sind ihm aus dem wachen Leben häufiger nicht bekannt. Die Bedeutung dieses Sachverhaltes ist unklar, Inge Strauch vermutet, dass es mit der zunehmenden Vereinsamung des älter werdenden Menschen zu tun hat. Wenn nun aber mit zunehmendem Alter auch die Variabilität der sekundären Identitätsmerkmale zunimmt, so lässt sich dieser Sachverhalt als zunehmende emotionale Freiheit des älter werdenden Menschen erklären; von einer Emanzipation von den täglichen Sorgen und Nöten, die ihn im Laufe seines Lebens emotional nicht mehr so sehr in Anspruch nehmen, weil er sie zur Genüge kennt. Daher bekommt er die emotionale Freiheit, im Traum andere Lebensentwürfe auszuprobieren.
Wie kommt es aber dazu, dass wir unsere Identität im Traum so leicht verwandeln können? Ein Stichwort dazu ist das Wort Identifikation. Wir können uns mit anderen Lebewesen, Tieren oder Menschen identifizieren, sowohl am Tag wie auch im Traum. Am Tag geschieht das vor allem in der Vorstellung im Kopf, in der Traumwelt aber, die aus „Vorstellung“ besteht, wird diese Identifikation vollständiger und umfassender erlebt. Womit identifizieren wir uns aber? Wir identifizieren uns mit Figuren, die uns emotional nahe stehen, sowohl im positiven wie auch im negativen Sinne. Menschen und Tiere, die uns kalt lassen, die uns emotional nicht berühren, dürften weniger Gegenstand einer Identifikation sein. Des Weiteren kommen hier Erklärungsmöglichkeiten zum Zuge, auf die ich mich nicht weiter einlassen möchte und die Seth in seinen Büchern viel umfassender und besser erklärt hat. Das ist die Identifikation mit wahrscheinlichen Selbsts, mit Gegenstücken und mit anderen Inkarnationen des größeren Selbst.
So empfehle ich dem Träumer, sich bei der Niederschrift des Traumes Gedanken über seine Identität im Traum zu machen. Häufig kann er diese aus dem Setting des ganzen Traumes ableiten, manchmal ist es aber sofort klar, dass der Träumer im Traum eine andere Person ist.
DAS TRAUM-ICH ALS WIRKFAKTOR
Im Verlaufe meiner langjährigen Auseinandersetzung mit meinen eigenen Träumen ist mir aufgefallen, wie wichtig die Erwartungen und Befürchtungen des Traum-Ichs sind. Sie bestimmen zu einem guten Teil, wie ein Traum sich entwickelt, welche Wendung er nimmt. Wie sich herausstellte, trifft dies für gewöhnliche als auch für luzide Träume zu. So möchte ich hier zur Illustration drei kürzere Träume vorstellen: Ich fuhr mit dem Auto eine steile, verschneite und steinige Straße hinunter. Dabei stellte ich mit Schrecken fest, dass es kein Steuer hatte, ich fuhr aber schon. Doch dann realisierte ich, dass dies gar nicht sein konnte, da es Autos ohne Steuer nicht gibt und ich sicherlich nicht losgefahren wäre, wenn es kein Steuer gehabt hätte. Als ich das realisierte, war das Steuer plötzlich da, bzw. ich nahm es wahr. Irgendwie hatte ich es vorher übersehen. Nun konnte ich sicher die gefährliche Straße hinunter fahren.
Die Angst des Traum-Ichs, die gefährliche Straße hinunterzufahren und die Kontrolle zu verlieren, wird sofort im Traumbild des fehlenden Steuerrades inszeniert. Seine darauf folgende überzeugte Feststellung, dass es keine Autos ohne Steuer gibt, erzeugte danach augenblicklich ein Steuerrad. Hätte es sich von seinem Schrecken und seiner Angst leiten lassen, so hätte sich der Traum bestimmt zu einem Albtraum entwickelt. Es wird hier deutlich, dass die Erwartung des Traum-Ichs sofort in seiner Umgebung ausgedrückt wird, sowohl im negativen als auch im positiven Sinn, denn die Umgebung ist ein Ausdruck und eine Gestaltung des Träumers. Diesem Sachverhalt sind wir schon einmal begegnet, Ernest Hartmann nennt ihn „Kontextualisierung“55.
Ein weiteres Beispiel, dieses Mal ein luzider Traum: Ich war in einer felsigen Gegend am Meer. Ich realisierte, dass ich träume und begann zu fliegen. Ich genoss den Flug durch die intensiv herbstlich gefärbten Schluchten, durch die ich kurvte. Die Farben erschienen mir fast etwas zu intensiv, fast ein wenig unecht. Schließlich war alles nur noch Papiermaché und löste sich danach ganz auf. Mein Zustand wechselte zu einem schwarzen, bildlosen Zustand, dem so genannten „Void“, in dem ich reines Ich-Bewusstsein, aber ohne Körper und ohne wahrnehmbare Objekte war. Kurz danach wachte ich auf und notierte den Traum.
Ich habe schon viele Male am Tag über den Realitätscharakter von Träumen und insbesondere von luziden Träumen nachgedacht. Letztere habe ich gelegentlich schon derart intensiv und real erlebt, dass ich dazu neige, sie realer als real anzusehen. Doch gibt es auch erhebliche intellektuelle Zweifel in mir, und die haben sich in diesem luziden Traum ausgewirkt. Meine latenten Zweifel bewirkten, dass die Landschaft nach dem ersten Gefühlsüberschwang bald irgendwie übertrieben farbig und unecht wirkte, wie gemacht, wie Papiermaché eben. Da mir dies auffiel, löste das in mir wiederum Assoziationen aus, dass Papiermaché nur etwas vorspiegelt, und dass dahinter nichts ist – diese Vorstellung löste sofort jegliche Traumwahrnehmung auf. Ich war bewusst in einem schwarzen Nichts.
Diese Traumschilderung zeigt noch etwas: Es wird nicht beschrieben, wie das Traum-Ich auf die Traumereignisse reagiert. Ich vermute, dass viele Traumschilderungen so sind. Es werden nur die „äußeren“ Ereignisse beschrieben. So ist auf den ersten Blick auch nicht zu erkennen, wie das Traum-Ich den weiteren Verlauf der Ereignisse beeinflusst. Deshalb möchte ich dem geneigten Leser vorschlagen, mehr darauf zu achten, was der Traum im träumenden Ich auslöst und wie die Erwartungen und Befürchtungen des Traum-Ichs den weiteren Verlauf des Traums beeinflussen.
Nun kann es aber auch hier sein, dass das Traum-Ich keine erkennbaren Emotionen zeigt, auch Denktätigkeiten oder Erwartungen sind nicht oder nur schwach auszumachen, denn wir haben schon im letzten Kapitel gesehen, dass im Traum Emotionen, Befürchtungen und Erwartungen sofort in eine erlebte Erfahrung umgesetzt werden und sich nicht als Emotionen und Erwartungen ausdrücken. So kann man oft die Emotionen und Erwartungen des Traum-Ichs aus dem weiteren Verlauf der Traumhandlung erkennen.
Hier ein weiteres Beispiel: Ich war bei einer größeren Wohngemeinschaft eingeladen. Ich ging in den Räumlichkeiten der Gemeinschaft umher, ging durch Gänge und sah verschiedene Türen, die zu den Zimmern der Bewohner führten. Da war ich plötzlich im Internat im letzten Jahr vor dem Schulabschluss. Es war Mittag, und ich musste meine Schulutensilien für den Nachmittagsunterricht bereitstellen. Doch ich wusste nicht, was für Lektionen ich hatte, denn ich hatte keinen Stundenplan. So musste ich einfach aufs Geratewohl losziehen.
Dieser Traum weist einen plötzlichen Bruch auf. Er beginnt in einer Wohngemeinschaft und endet im Internat. Der Übergang ist plötzlich und von mir unbemerkt. Ich bewege mich selbstverständlich in beiden Szenerien, wie wenn nichts geschehen wäre. Vielleicht ist doch etwas zu erkennen, wie unvorbereitet der Wechsel auf mich trifft, weil ich keinen Stundenplan zur Verfügung hatte und nicht wusste, was für eine Schulstunde mich erwartete und daher improvisieren musste. Interessant ist nun, warum dieser Szenenwechsel stattfinden konnte. Das Bindeglied ist meine Erinnerung: Die Gänge mit den Zimmertüren erinnerten mich offensichtlich im Traum an meine Internatszeit. Die Erinnerung trat aber nicht als Erinnerung in mein Bewusstsein, sondern als erlebbare Umgebung. Hier wird die Eigentümlichkeit der Traumwelt gegenüber der physischen Welt besonders deutlich. Weder der Raum noch die Zeit strukturiert das Geschehen, sondern die Assoziation, wie wir im Kapitel über das träumende Bewusstsein gesehen haben. In diesem Beispiel hat das Traum-Ich mit seinen Erinnerungen den Traum bedeutsam geprägt, indem diese einen Szenenwechsel verursachten. Die plötzliche Veränderung traf wiederum das Traum-Ich etwas unvorbereitet. Dieses Unvorbereitetsein drückte sich aber nicht als Gefühl der Unsicherheit aus, sondern im fehlenden Stundenplan, einem Symbol für fehlende Struktur.
SELBSTERKENNTNIS
Wie wir also sehen können, prägen nicht nur Emotionen und Erwartungen den Verlauf des Traumes, sondern auch Erinnerungen. Man kann also sämtliche mentalen Prozesse des Träumers anhand des Traumverlaufs herausarbeiten. Darum ist die Auseinandersetzung mit den eigenen Träumen ein Akt der Selbsterkenntnis. Der Traum zeigt auf seine sehr freie Art den Verlauf der mentalen Prozesse wie in einem Bilderbuch. Obwohl die Traumwelt so aussieht und so real ist wie die physische Welt, so wird sie doch von mental-assoziativen und nicht von physikalischen Kräften, Raum und Zeit regiert.
Seth und in der Folge auch andere Autoren haben immer wieder betont, dass wir unsere Wirklichkeit selber erschaffen. Dies ist eine Botschaft, die für uns schwer verdaulich ist, denn wir halten uns häufig für die Opfer der Umstände, wenn wir auch erkennen können, dass wir bis zu einem gewissen Grad aktiv auf unsere Umwelt Einfluss nehmen. So ist das Studium der Funktionsweise der Traumwelt, insbesondere des Traum-Ichs, ein hervorragendes Werkzeug, um uns selber als gestaltender Faktor wahrnehmen zu können. Die Traumwelt reagiert viel schneller und leichter auf unsere Erwartungen und Erinnerungen als die wache Welt, denn sie ist eine psychische Welt.
Aufgrund der Träume kann man also die Emotionen, die Erwartungen, die Befürchtungen, die Hoffnungen, die Weltanschauung und die Erinnerung des träumenden Ichs erkennen. Doch wie es sich gezeigt hat, gibt es auch Traumereignisse, die sich nur schwer auf das uns selber bekannte Ich zurückführen lassen. Auf wen oder was dann? Man kann diesen unbekannten Faktor das „Unbewusste“ nennen, einfach weil wir nicht wissen, wie das zu erklären ist, und wir müssen uns dabei eingestehen, dass uns unser eigenes Ich teilweise unbekannt sein dürfte. So können die Träume uns lehren, neue Aspekte des eigenen Ichs kennen zu lernen. Vielleicht sind das gerade diejenigen Aspekte, die Ereignisse veranlassen, die uns unangenehm sind, Ereignisse, deren Opfer wir zu sein scheinen.
(c) Seth-Verlag, 2017
INHALT
BEWUSSTER TRÄUMEN - EIN BUCH FÜR TRAUMJOURNALISTEN
Kapitel 1: Einführung
Kapitel 2: Die Bedeutsamkeit der Träume in der heutigen Zeit
Kapitel 3: Träume erinnern und aufschreiben
Der ununterbrochene Schlaf; In der Nacht aufwachen; Die Bedeutung der Erinnerung; Die Schlafphasen; Die abendliche Suggestion; Erwachen und erinnern; Rhythmen und Zeiten; Hilfsmittel; Traumerinnerungstypen; Träume notieren; Die Wichtigkeit der Erinnerung
Kapitel 4: Das träumende Bewusstsein
Enger und weiter Fokus; Assoziationen; Primärprozess, Sekundärprozess; Beispiele; Die assoziative Komplexität und der träumerische Freiraum
Kapitel 5: Die Erfassung des Traumes
Bewusstseinszustände; Das Traumthema; Die Gefühlstönung des Traumes; Der Traum als Welt; Die Traumorte; Die Traumpersonen; Projektion, Halluzination; „Erfahrungen“ versus persönliche Träume
Kapitel 6: Das träumende Ich
Die Identität des Traum-Ichs; Theoretische Überlegungen; Das Traum-Ich als Wirkfaktor; Selbsterkenntnis
Kapitel 7: Traumspiele
Die Wichtigkeit der Imagination; Aktive Absicht und passive Sensibilität; Die Symbolvertiefung; Der imaginative Dialog; Die imaginative Ergänzung; Die Trauminkubation; Seth und die Trauminkubation
Kapitel 8: Luzides Träumen
Was ist ein luzider Traum?; Beispiel: Das Aufwachen; Klartraumtraining; Realitätschecks; MILD; WILD; Die Schlafstarre
Kapitel 9: Gemeinsames Träumen
Individueller und kollektiver Aspekt der Träume; Susan Watkins‘ Experimente mit kollektiven Träumen; Eigene Untersuchung; Psi-Phänomene im Traum; Verwobene Träume – Begegnungsträume; Ursachen der gemeinsamen Träume; Praktische Hinweise
Kapitel 10: Träume deuten
Die Anthroposophie und die Traumdeutung; Freud und die Traumdeutung; Diskriminierendes und assoziatives Denken; Der Übergang vom Träumen zum Wachen; Praktische Schritte bei der Traumdeutung; Vom Umgang mit Symbolen; Traumsymbollexika; Die Metapher; Die Grenzen der konventionellen Traumdeutung; Deutungsbeispiele; Die Deutung von Träumen anderer Leute
Kapitel 11: Traumtypen
Träume und „nächtliche Erfahrungen“; Homers Tore aus Horn und Elfenbein; Der Traum bei den Römern; Islamische Unterscheidung der Träume; Christliche Traumkategorien – die Verteufelung des Traums; Die Rehabilitation des Traumes; Die freudsche Kompensation des Traumes; Jungs Traumverständnis; Träume als Spiegel der Persönlichkeit; Alternative Lebensentwürfe im Traum; Kreative Träume; Träume als Ausdruck körperlicher Vorgänge; Archetypische Träume, große Träume; Sterbende, Verstorbene und Ungeborene im Traum; Gemeinsame Träume; Lehrträume; Psi-Träume; Luzide Träume; Epilog
(c) Seth-Verlag, 2017
Seit 2018 Chief Publisher, Mitbegründer, Verwaltungsrat und Teilhaber von smartmyway. Übersetzer und Autor. Vorher als Geschäftsführer des Seth-Verlags sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Lugano tätig.
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