Träumen Sie vom Zürichsee?
EINE UNTERSUCHUNG ZUM PHÄNOMEN DES GEMEINSAMEN TRÄUMENS. Der Psychologe und Traumforscher CHRISTOPH GASSMANN aus Horgen bei Zürich ließ sich nach der Lektüre des Buches TRÄUMENDES ICH - TRÄUMENDE STADT von SUSAN M. WATKINS, in welchem sie das Phänomen des kollektiven Träumens behandelt, zu einer eigenen Traumstudie mit ähnlichem Versuchsaufbau inspirieren. CHRISTOPH GASSMANN ist Autor zahlreicher Arbeiten und Bücher zum Thema “Träumen”, zum Beispiel BEWUSSTER TRÄUMEN - EIN BUCH FÜR TRAUMJOURNALISTEN, und wir freuen uns, hier seine Traumuntersuchung aus dem Jahr 2002 über gemeinsames oder kollektives Träumen präsentieren zu dürfen.
Träumen Sie vom Zürichsee?
Eine Untersuchung zum Phänomen des gemeinsamen Träumens
Von Christoph Gassmann
Einführung
Seit Sigmund Freud vor 100 Jahren seine Traumdeutung veröffentlichte, hat sich das Wissen durchgesetzt, dass die Träume eines Individuums im Kontext seiner Biographie und seiner aktuellen Erfahrungen gedeutet werden kann. Dabei wird der Traum als Schöpfung aus bewussten und unbewussten Anteilen der individuellen Psyche gesehen. C.G. Jung hat dieses Konzept erweitert, indem er die Begriffe des kollektiven Unbewussten und der Archetypen einführte. Das kollektive Unbewusste wird von allen Menschen geteilt, in ihm hat sich das Menschsein sozusagen (noch) nicht individualisiert. In ihm sind latente Bewusstseinsstrukturen enthalten, die sich in Form von Symbolen und Motiven ausgestalten, die in allen Kulturen der Menschheit zu finden sind.
Neuere Untersuchungen vor allem in Amerika haben jedoch gezeigt, dass es auch auf der individuellen Traumebene Verbindungen zwischen den Träumern gibt. So kann es vorkommen, dass Menschen, die sich auch im wachen Leben gefühlsmässig nahestehen gemeinsame Träume haben. Ich möchte hier ein Beispiel anfügen, dass von James J. Donahoe stammt, einem Psychologen, der als einer der ersten das Phänomen der gemeinsamen Träume 1974 beschrieb. Es handelt sich um die Träume zweier Teilnehmer einer Traumgruppe:
Träumer A: Ich war im Traum gerade von einem Berg heruntergekommen, als ich vor einem kleinen Haus Pam traf. Wir gingen hinein und setzten uns neben einige andere Leute auf den hölzernen Fussboden. Ich wusste, dass ich träumte, und schloss aus einem stärker werdenden Müdigkeitsgefühl, dass ich bald aufwachen würde. Vor dem Aufwachen wollte ich mit meiner Luzidität etwas tun und bat die Gruppe deshalb, zu beobachten, wie ich bewusst den Traumzustand verlassen würde. Dann weckte ich mich auf.
Träumerin B: Meine Erinnerung an den Traum beginnt damit, dass ich am Fusse eines Berges auf Jim warte. Dann wechselt die Szene und ich sitze mit einer Gruppe Menschen in einem Haus auf dem Fussboden. Einer in der Gruppe begann zu verschwinden und sagte dabei, wir sollten ihn beobachten, denn er sei müde und würde den Traumzustand verlassen. Sein Bild wurde immer dunkler, bis schliesslich nur noch ein Loch da war. Ich dachte an die schwarzen Löcher im Kosmos und an die Theorie, dass sie Pforten zu einer anderen Dimension seien. Ich wusste, er war hindurchgegangen in den Wachzustand. Dann wachte ich auf.(i)
Es sei hier angemerkt, dass ein luzider Traum in einem Zustand stattfindet, indem man vollständig wach ist und sich voll bewusst in der Traumwelt bewegt, obwohl der Körper im Bett schläft. In normalen Träumen ist der Bewusstheitsgrad meist deutlich geringer. Bei diesen beiden Träumen, die einige zentrale Elemente gemeinsam haben, die darauf schliessen lassen, dass sie eine Beschreibung desselben Ereignisses aus der Sicht des jeweiligen Träumers ist, ist doch zu erkennen, dass es auch Unterschiede gibt. So kann sich die Träumerin B nicht erinnern, wie sie vom Fusse eines Berges ins Haus hineinkam, während Träumer A den Weg von draussen nach drinnen beschreibt und zu erkennen ist, dass das Haus am Fusse des Berges steht. Auch erkennt sie die Leute in der Gruppe nicht. Dies demonstriert deutlich, dass die Erinnerung an einen gemeinsamen Traum mehr oder weniger stark übereinstimmen kann. Es ist anzunehmen, dass in luziden Träumen die Übereinstimmung grösser ist als in normalen Träumen, da in letzteren Eigenproduktionen, die durch Motive und Erwartungen aus dem Unbewussten des Träumers stammen, überlagert und verzerrt werden können. Ein wesentlicher Bestandteil der Traumwelt ist ja, dass sie eine merkwürdige Plastizität aufweist und psychische Projektionen sofort in eine erlebbare Realität umsetzt. Wir können also nicht mit einer fest gefügten “objektiven” Welt rechnen, wie wir sie in unserem Wachbewusstsein kennen. Allerdings sei hier angemerkt, dass auch unsere physische Welt keineswegs so objektiv ist, wie wir es für selbstverständlich halten. Die psychologische Forschung konnte schon mehrfach nachweisen, dass unsere wache Wahrnehmung eines Ereignisses erheblich von unseren inneren Motiven und Erwartungen abhängt. In diesem Zusammenhang sei der Placeboeffekt erwähnt, wo wirkungslose Kreidepillen je nach Zusammenhang einen deutlichen und messbaren Effekt erzielen. Ein anderes Stichwort zu diesem Phänomen ist die selbst erfüllende Prophezeiung, bei der Erwartungen die Wahrscheinlichkeit deutlich erhöht, dass ein Ereignis tatsächlich eintrifft. Verhörspezialisten bei der Polizei und die Gerichte kennen ausserdem die subjektiv geprägte Wahrnehmung und Erlebnisweise zur Genüge, die von den Zeugen als objektive Wahrheit erlebt wird.
Aber nun zurück zu den Träumen und deren weniger fest gefügten Realität. Gemeinsame Träume kommen möglicherweise öfter vor, als man sich vorstellt. Diese Erkenntnis dürfte dadurch verhindert werden, dass Träumen im Allgemeinen kaum Beachtung geschenkt wird und nur ganz wenige Leute ihre Träume systematisch aufschreiben. Tun sie dies, so geschieht es häufig im stillen Kämmerlein und die Chance ist gering, dass sich zwei oder mehrere Trauminteressierte zusammentun, um ihre nächtlichen Erlebnisse zu vergleichen. Spärliche Hinweise in der Literatur weisen aber darauf hin, dass dies spontan geschieht, insbesondere wenn eine tiefere innere Bindung zwischen zwei oder mehreren Leuten besteht. Zu denken sind an Eheleute, langjährige Partner, an Familien oder an Arbeitsgruppen. Wenn heftige Emotionen im Spiel sind, die in der Welt der Träume wahrscheinlich wie Magnete wirken, kann dies die Aufmerksamkeit anderer Träumer erregen und anziehen. Dazu hier ein Beispiel aus dem Buch von Linda Magallòn(ii), einer Kapazität auf diesem Gebiet. Sie erzählt ein Beispiel aus früherer Zeit:
Henry Armitt Brown, ein junger Student der Rechtswissenschaften aus New York träumte 1865 Folgendes:
Eine starke Hand packte seine Kehle während er auf seinem Rücken auf einer New Yorker Strasse lag. Ein starker, bärtiger und ungepflegter Mann drückte ihn nieder, mit der einen Hand würgte er ihn, während er in der anderen ein Beil über ihm schwang. Der Träumer hörte die gequälten Schreie seiner Freunde, welche zu ihm gerannt waren, um ihm zu helfen. Aber bevor sie eingreifen konnten, spaltete das Beil seine Stirne und er fühlte Blut, das über sein Gesicht rann. Der Traum endete mit dem Ton der weinenden Freunde in seinem Ohr.
Am nächsten Tag erzählte ein aufgeregter Studienkollege von Henry Brown folgenden Traum:
Der Kollege war im Traum unterwegs, als er das Geräusch eines Handgemenges und Browns Hilfeschreie vernahm. Er sah Henry Brown auf der Strasse und der Mörder auf ihm. Aber bevor er zu ihm eilen konnte, vergrub sich das Beil in Browns Kopf. Andere Freunde Browns waren auch gekommen, waren aber zu spät um die Tragödie zu verhindern.
In der folgenden Woche besuchte Henry Brown Freunde. Die Frau seines Freundes erzählte ihm von dessen Albtraum:
Er träumte, dass ein Mann Henry Brown in einem Strassenkampf getötet hatte. Er sei ihm zur Hilfe geeilt, aber bevor er den Platz der Ereignisse erreicht hatte, brachte der Mann Brown mit einer schweren Keule um.
Zu diesem Zeitpunkt intervenierte ihr Mann und berichtigte: “Nein, es sei ein Beil, keine Keule gewesen.”
Dies ist wohl ein sehr eindrückliches Beispiel und auch etwas gruselig. Doch wahrscheinlich kennen wir alle solch schrecklichen Träume. Interessant an diesem Beispiel ist die hohe Übereinstimmung der Traumerzählungen. Es ist anzunehmen, dass die Energie der massiven Emotionen in Henrys Traum die anderen Träumer, die mit ihm verbunden waren, angezogen hatte. Natürlich können auch andere Gefühle als Todesangst ein solches Ereignis herbeiführen, zu denken sind an Zuneigung, Liebe, Freundschaft, Sympathie, aber auch stärkere Gefühle der Verwirrung und der Verwunderung.
Diese drei Traumschilderungen werfen die Frage auf, ob Träume wirklich nur ganz subjektive Erlebnisse seien, oder ob sie “objektive” Vorgänge beinhalten können, die in der Traumwelt tatsächlich stattgefunden haben und unter günstigen Umständen auch von anderen Träumern bezeugt werden können. Sicherlich hatte Browns Albtraum einen subjektiven Hintergrund. Als Student der Rechtswissenschaften hatte er wahrscheinlich auch mit dem Strafrecht zu tun, das ihn möglicherweise beeindruckte. Vielleicht war er durch diese Thematik aufgrund seiner Lebensgeschichte fasziniert. Leider wissen wir darüber nichts. Diese Art von Träumen wird von Linda Magallòn als “Begegnungstraum” klassifiziert, da sich die Träumer persönlich treffen.
Sie berichtet auch von “verwobenen Träumen”. Bei dieser Art von gemeinsamen Träumen stimmen gewisse Traumelemente überein, diese können auffällige Farben, spezielle Traumorte, ähnliche Ereignisse oder ähnliche Empfindungen etc. sein. Hier ein Beispiel aus einem Gruppenprojekt, indem die Träumer das Ziel hatten luzide, also voll bewusst im Traum zu werden. Die Aufgabe war in jener Woche, die Orte, wo sie sich im Traum befanden, genau auszukundschaften. Ein Gruppenteilnehmer berichtete folgendes (iii):
Ich sitze in einem Restaurant an einem Tisch. Meine Kellnerin hat Mühe, mich zu verstehen und eine andere Frau kommt herbei um zu übersetzen. Eine grosse Anzahl von Leuten, vielleicht alle im Restaurant, steht auf und beginnt, gut gelaunt zu singen. Ich esse etwas Spezielles, das den nationalen Stolz erweckt, denke ich. Ich stehe auf und verkünde dies stolz.
Ein anderer erzählt folgenden Traum:
Ich bin mit einer oder mehreren Personen und experimentiere mit Wörtern. Auf eine gewisse Art scheint es, als ob ich wieder in der Schule wäre. Ich empfinde ein Gefühl grosser Zufriedenheit. Alle mögen mich, ich bemerke es und fühle mich gut. Es hat eine Fahne im Klassenzimmer, ich beginne das Lied “America the Beautiful” zu singen und ermuntere die andern einzustimmen.
Bei diesen beiden Träumen herrscht ein ähnlicher Gefühlstonus der Freude, der Selbstsicherheit und des Nationalstolzes. In beiden findet der Traum in einem Raum mit vielen Leuten statt und es wird gesungen. Doch sind diese Träume auch recht unterschiedlich, der Kontext ist nicht derselbe. Der Auslöser für diese verwobenen Träume mag das gemeinsame Traumprojekt gewesen sein, dass sich auch in der Symbolik der Gruppe ausdrückt. Ein gemeinsames Projekt kann also ebenfalls gemeinsame Träume auslösen. Immerhin zeigt dieses Beispiel, dass gemeinsame Träume nicht unbedingt spektakulär und auch nicht identisch sein müssen. Sie weisen bloss auf eine Übereinstimmung hin, die dahin gehend interpretiert werden kann, dass die beiden Träumer sich psychisch teilweise angenähert haben und sei dies in einem Gefühl der Selbstsicherheit und des (nationalen) Stolzes. Gemeinsame Träume müssen also nicht unbedingt einen “Psy-Faktor” aufweisen, sondern können durch gemeinsame Erlebnisse oder Interessen bewirkt werden. Anderseits können ähnliche psychische Einstellungen und die Vertrautheit zweier Menschen Psy-Phänomene auslösen. Solche kleinen aussersinnlichen Wahrnehmungen kennen viele Menschen auch aus ihrem Alltag, z.B. die Freundin, an die man gerade denkt, ruft an usw.
In diesem Zusammenhang möchte ich aber feststellen, dass es im Zusammenhang der Träume nicht sehr sinnvoll ist, von aussersinnlichen Wahrnehmungen zu sprechen, denn alle Träume sind grundsätzlich aussersinnlich, da sie nicht über die Sinne wahrgenommen werden. Ob diese aussersinnliche Erlebnisweise im Traum auch “aussersinnliche” Erfahrungen fördert, ist im Bereich des Möglichen.
Ausserdem ist es wahrscheinlich, dass eine Teilnahme an einem “objektiven” Ereignis in der Traumwelt von jedem Träumer individuell im Lichte seiner eigenen biographischen Erfahrungen interpretiert wird. So mag die bevölkerte Hotelhalle des einen für den anderen ein Klassenzimmer und für den dritten eine private Party oder ein Restaurant bedeuten. Da die Traumwelt eine hohe Plastizität und Formbarkeit aufweist, wird diese Interpretation, diese Bedeutung sogleich in eine konkrete Wahrnehmung umgesetzt.
Ausserdem können individuelle Träume auch von Ereignissen auf der physischen Welt, die dem Träumer nicht bekannt sind angestossen oder beeinflusst werden. Als Beispiel möchte ich einen Traum von mir anfügen, den ich am 5. Januar 2000 aufschrieb:
Ich war in Zürich und streunte in den Strassen umher. Ich war am Bellevue....... Zwischendurch sah ich am See, wie ein Tram als Schiff gewassert wurde und vor sich hintrieb. Als sie die Motoren anstellten, fuhr es tatsächlich schneller, denn die Räder hatten grosse Luftpneus mit Profil, die Antrieb gaben. Ich musste ab dem seltsamen Gefährt lachen.
Als ich dieses Traumereignis notierte, wunderte ich mich über die eigenartige Traumkonstruktion des seetauglichen Trams, auf die ich mir keinen Reim machen konnte. Monate später aber lancierte der Zürcher Verkehrsverbund, der die Eisenbahn, Trams, Busse und Schiffe der ganzen Region Zürich vereint, eine PR-Kampagne. Darin priesen sie ihre Tickets an, die für alle diese Verkehrsmittel tauglich sind. Später fragte ich beim Verkehrsverbund nach, wann diese Kampagne gestartet wurde und erhielt die Antwort, am 10. Mai 2000. In grossen Lettern prangte z.B. auf den Schiffen: “Ich bin auch ein Zug”, oder auf den Trams: “Ich bin auch ein Schiff”. Der letzte Werbespruch hatte nun aber eindeutig mit meinem Traum zu tun. Ich hatte offensichtlich diesen Spruch im Traum in ein Bild umgesetzt, während er noch nicht veröffentlicht worden war. Es ist anzunehmen, dass im Januar, zum Zeitpunkt meines Traumes, diese Werbekampagne noch in der Projekt- oder Produktionsphase war. Ich hatte davon jedoch keinerlei Kenntnisse, da ich keine Kontakte zu Werbeleuten und Graphikern hatte und habe. So würde ich diesen Traum nicht als prophetisch bezeichnen, aber offensichtlich hatte ich in der Nacht etwas aufgeschnappt, das in der “Luft” lag. Möglicherweise wurde ich von der Eigenartigkeit dieses Spruchs angezogen.
So scheint es mir, dass als Traumquelle nicht nur rein persönliche Motive infrage kommen, sondern auch Träume, Gedanken und Projekte anderer Menschen, also fremde psychische Inhalte, die für den Träumer aus dem einen oder anderen Grund attraktiv sind und als Rohmaterial für die eigenen Traumkreationen verwendet werden.
Der Anstoss für diese Untersuchung gab jedoch ein anderes Projekt, das von Susan M. Watkins in den 80er-Jahren mit Einwohnern des Ortes Dundee im Staate New York realisiert und später publiziert wurde(iv). Dundee hatte damals ca. 1600 Einwohner. Susan Watkins arbeitete unter anderem als Journalistin bei der lokalen Zeitung. Sie forderte in einem Artikel die Einwohner von Dundee auf, ihre Träume aufzuschreiben und ihr zu schicken. Der Ort war so klein, dass sich praktisch alle Leute mehr oder weniger kannten. Laut ihrem Bericht nahmen etwa 20 Träumer an ihrem Projekt teil und sandten ihr Träume. Die interessantesten Berichte erhielt sie aber mündlich und im Vertrauen. Dabei ergab sich, dass die Träume der Einwohner eindrückliche Querbezüge aufwiesen. So möchte ich eine Episode aus ihrem Buch wiedergeben(v):
Susan Watkins träumte von einem Artikel in einem bebilderten Magazin von einer Tiefseeexpedition. Sie las darin, dass mit Röntgenstrahlen von einem Tauchboot der Meeresgrund des Atlantiks untersucht wurde, wobei eine versunkene Stadt in einem Canyon unter Wasser entdeckt wurde. Sie sah dabei, wie sich die Tauchglocke in der Tiefsee zwischen den Felsen, Riffen und Höhlen bewegte. Die Stadt war sehr tief unten in einer bodenlosen und zeitlosen Tiefe im eiskalten Wasser.
Am nächsten Tag sah sie in der Morgenpost die Wochenausgabe des New Yorkers, indem ein Artikel abgedruckt war, der den Titel “Annalen einer früheren Welt” trug und das Thema der atlantischen Küstenplatten Amerikas beinhaltete. War das ein präkognitiver Traum, oder hatte die Autorin da etwas von jemand anderem aufgelesen?
Am übernächsten Tag vernahm sie, dass ein Mitglied ihres kleinen Dorfes im nahe gelegenen Seneca-See ertrunken war. Leider wurde sein Körper nicht mehr gefunden, da der See sehr tief und kalt ist. In ihm gibt es unberechenbare Strömungen und tief gelegene Canyons und Höhlen. Der Dörfler war mit Freunden auf einem Segelschiff morgens früh um 2 Uhr, als es geschah. Es war eine dunkle neblige Nacht und er glitt auf dem glitschigen Deck aus. Er konnte nicht schwimmen und hatte keine Schwimmweste an. Offensichtlich schloss sich das Wasser über ihm beinahe geräuschlos. Er schrie nicht und kam auch nicht mehr hoch.
Am Tag darauf erzählte ihr ein Bekannter aus dem Dorf einen weiteren Traum, den er in der Nacht vor dem tragischen Ereignis hatte: Er träumte von einem grossen dunklen Ruderboot in der Garage neben seines Vaters Haus. Es war nachts und völlig still, der ganze Traum war völlig geräuschlos. Dann begann das Boot auf eine Seite mehr und mehr zu krängen, bis es lautlos kippte und jemandes Arm brach.
Eine weitere Person aus dem Dorf träumte vor dem Unfall, dass sie in den Kleidern im Wasser eines Swimmingpool hinab sank, während sie zum rasch dahinschwindenden Licht über dem Wasser hinaufsah während sie eine umfassende Traurigkeit verspürte, alle irdischen Sachen hinter sich zu lassen. Eine andere träumte, dass sie im Nebel am Seneca-See stand und auf Freunde wartete, die von einem Bootsausflug zurückkehren sollten. Eine weitere Person hatte im Traum bloss das Gefühl von einem verhängnisvollen Desaster.
Auch hier zeigt sich, dass ein Ereignis von verschiedenen Träumern aufgenommen und in einen persönlichen Kontext gebracht wurde. Das Ereignis selber ist nicht direkt zu erkennen, doch wenn man die Träume wie ein Puzzle zusammensetzt, so erhält man ein Bild von den traurigen und beängstigenden Geschehnissen.
Nach dem Unfall hatten einige Leute Träume, die das schreckliche Ereignis verarbeitete und in einen persönlichen Kontext setzten. Sie träumten z.B., dass der Verunfallte unter Wasser noch lebte und versuchte durch die Gesteinsschichten und Unterwassergasfontänen hoch zu kraulen und Hilfe brauchte; dass er lebte und wieder durch die Dorfstrassen ging; oder dass er von den Behörden aufgehalten wurde, da er eine andere Identität angenommen hatte und nicht erkannt wurde.
Interessant war, dass die Träume, die mit dem Unfall zusammenhingen, auch im Kontext der individuellen Träumer zu sehen war. Dies traf vor allem auf die Träume in den Nächten nach dem Ereignis zu: Ein Mann wurde von seinem Traum in diesem Zusammenhang, den er vor dem Unfall hatte besonders erregt, weil er selber nicht schwimmen konnte. Eine Frau, die einer religiösen Sekte soeben beigetreten war, sah den Verunfallten in einem späteren Traum aus dem Wasser steigen, ein anderer Mann, der häufig Jobs wechselte und nie damit zufrieden war, träumte, dass der Verunfallte unter neuer Identität in einem anderen Dorf lebte. So werden also äussere Ereignisse individuell verarbeitet und in einen persönlichen Kontext gestellt.
Ich möchte hier noch ein weiteres eindrückliches Beispiel anfügen, dass dieses Thema illustriert. Es handelt sich um ein Beispiel aus einer psychoanalytischen Praxis, dass von Jule Eisenbud veröffentlicht wurde:(vi)
Eisenbud analysierte zwei Klientinnen, die sich nicht kannten. Klientin A hatte folgenden Traum:
“Ich ging durch eine Strasse, während es in Strömen regnete und kam zum Haus meines unmittelbaren Nachbars, wo ich mich entschied anzufragen, ob ich Unterschlupf erhalten würde. Das Haus schien eine palastartige Villa zu sein. Ich zögerte etwas, hineinzugehen, da die Leute sehr snobistisch waren; aber ich dachte mir, dass sie mich wegen dem niederprasselnden Regen nicht zurückweisen konnten. Als ich hineinkam wurde mir bewusst, dass meine Kleider nicht nur tropfnass waren, sondern ausserdem recht schäbig.”
In der folgenden Nacht träumte Klientin B diesen Traum:
“Ich lebte in einer alten Hütte. Draussen regnete es stark. Einige Nachbarn kamen wegen des Regens herein. Von denen erkannte ich nur Selda X. Obwohl sie vom Regen hereinkam, war sie vollkommen trocken und sah perfekt, ja sogar mondän gekleidet aus. Sie sagte, sie würde alle Sachen zur Chinesischen Wäscherei bringen, da sie diese von dort so rein und weiss zurückerhalten würde. Sie teilte ausserdem mit, dass sie mit einer anderen Nachbarin eine Vereinbarung hatte, dass diese sie hereinnehmen würde, wenn sie weg war während die Wäsche gebracht wurde und umgekehrt.”
Einige Übereinstimmungen springen ins Auge. Ausserdem ergeben sich Gegensätze, die auch aufeinander bezogen sind. Die Villa der einen, ist die Hütte der andern, die schäbige Kleidung der einen ist die perfekte Kleidung der andern. Ausserdem stimmt der Name Selda ausser einem Buchstaben mit dem Namen der Träumerin A, die Selma hiess, überein. Eisenbud bemerkte dazu, dass es in der letzten Zeit nicht geregnet hatte und dass die Analyse der beiden Klientinnen in letzter Zeit keineswegs um ein solches Thema kreiste.
Die einzige Gemeinsamkeit war, dass sie zum selben Analytiker gingen und beide an einem Projekt von ihm teilnahmen, in dem eine dreistellige Zahl telepathisch übermittelt werden sollte. Alle drei waren also nur durch ihr aktives Interesse an telepathischen Phänomenen verbunden. Eisenbud weisst darauf hin, dass das Arrangement im Traum B mit der Wäscheauslieferung eine Symbolisierung des telepathischen Arrangements sein könnt, indem die eine etwas “empfing”, wenn die andere nicht zur Verfügung stand. Eisenbuds Interesse war geweckt und er liess die Klientinnen zu ihren Träumen frei assoziieren.
Träumerin A brachte die einsame Situation im Regen mit ihrem Gefühl der Einsamkeit Seite und Isolation in Zusammenhang, das sie schon früh dazu trieb sexuelle Verhältnisse mit Männern und Frauen zu haben. Dies begann schon, als sie achtjährig war und zahllose sexuelle Kontakte mit Nachbarjungen hatte, “zahllos wie die Regentropfen im Traum”. Sie konnte ihr Verhalten nie akzeptieren und schämte sich deswegen sehr. In der Tat brachte sie ihre schäbige Kleidung im Traum mit diesem Sachverhalt in Zusammenhang. Die Villa des Traumnachbarn brachte die Träumerin mit dem stattlichen Haus des Priesters in Zusammenhang, der allerdings ein weiter entfernter Nachbar war. Dies führte zu verschiedenen Zusammenhängen zu den Themen Religion und Sünde, in die auch die Mutter der Klientin involviert war. Diese hatte unter ihren Verhältnissen einen jüdischen Mann geheiratet, der aber nicht bereit war, zu konvertieren oder seinen jüdischen Namen zu anglifizieren. Eisenbud brachte den Priester in Zusammenhang mit der Analyse bei ihm, wo die Patientin möglicherweise Absolution von ihren Sünden suchte. Mir ist dabei aufgefallen, dass der Analytiker Eisenbud möglicherweise vom Namen her jüdischen Ursprungs war.
Träumerin B brachte die Traumhütte mit ihrer aktuellen Situation in Zusammenhang. Sie war mit ihrem Haus, das sie bewohnte nicht zufrieden und nannte es eine Hütte. Sie hätte lieber in einer eleganten Wohnung in der Stadt gelebt, fürchtete sich aber vor der Snob-Ettikette mit all ihren Konsequenzen. Ihr Mann war jüdisch und unter ihrem Niveau. Sie überredete ihn seinen jüdischen Namen zu anglifizieren, was er auch tat. Zur Traumfigur Shelda X kam ihr eine Frau in den Sinn, die nicht ihre Nachbarin war, sondern eine gut gekleidete Frau, die sie in den Ferien kennengelernt hatte und die wegen ihren Amouren als Hure vom Stand X bekannt war. Zur Chinesischen Wäscherei fiel ihr ein, dass sie letzthin ihre Vorhänge zu einer solchen brachte und sie in einem solch schlechten und eingegangenen Zustand zurückerhielt, dass sie diese nicht mehr aufhängen konnte. Dabei war ihr unangenehm, dass man nun in ihren Haushalt hinein sehen konnte. Eisenbud brachte diesen Sachverhalt mit der Analyse in Zusammenhang, wo die inneren Vorgänge offenbar werden. Er beschrieb auch noch weitere Details, welche die psychische Verwobenheit der beiden Klientinnen demonstriert, obwohl sie diese nicht kennen. Es ist zu erkennen, dass nicht nur die Träume gewisse Übereinstimmungen zeigten, sondern auch der grössere Kontext, in dem sie eingebettet waren. Möglicherweise begünstigt gerade diese Ähnlichkeit der inneren Problematik der Klientinnen, dass ein telepathischer Austausch stattfinden kann, da diese aufgrund ihrer emotional besetzten Themen ähnliche Themen “anzogen”. Unter Umständen ist auch der Analytiker darin einbezogen, doch darüber erfahren wir nichts. Einzig das telepathische Experiment bildet eine nachvollziehbare Klammer, die alle drei miteinander psychisch verbinden.
Bei dieser Schilderung wird ausserdem erkennbar, wie schwierig es ist, telepathische Traumphänomene gesichert zu erkennen. Erstens hatte das offizielle Experiment mit dreistelligen Zahlen zu tun, das Resultat zeigte sich aber auf eine viel komplexere und persönliche Weise. Zweitens finden telepathische Ereignisse vorzugsweise in einem komplexen psychischen Zusammenhang statt, sodass sie kaum mehr von diesen isoliert werden können. Dies ist eine Knacknuss, die mit den gängigen objektivierenden wissenschaftlichen Werkzeuge kaum zu knacken ist, was nicht heissen soll, dass erstere nicht existiert.
Eigene Untersuchung
Ich versuchte um den Jahreswechsel 2000/2001 das Experiment von Sue Watkins zu wiederholen. Allerdings fand es unter deutlich anderen Umständen statt. Die Region linkes Zürichseeufer umfasst sicher etwa 50-80’000 Einwohner. Der Bekanntheitsgrad und damit die persönliche und emotionale Bindung unter diesen Leuten dürfte also wesentlich tiefer sein, als in Dundee. Im November 2000 wurde in der Zürichsee Zeitung ein Aufruf publiziert, indem ich Träumer suchte, die bereit wahren, während zwei Monaten ihre Träume, die sie von Samstag auf Sonntag hatten, aufzuschreiben. Auch Träume von anderen Wochentagen waren willkommen. Allerdings mussten sie mir allzu persönliche Träume nicht mitteilen, damit die private Sphäre der Träumer nicht zu stark tangiert wurde. Es meldeten sich sieben Frauen aus der Region, die bereit waren teilzunehmen, ein Mann war nicht dabei. Ausserdem nahmen auch meine Frau und ich daran teil. Auf einer Skala für die Güte der Traumerinnerung von 1-5 (vii) stuften sich die Teilnehmerinnen hauptsächlich in den Stufen 2-4 ein. Ausserdem wollte ich ein paar äussere Daten der Teilnehmerinnen haben, damit ich in etwa deren äusseren Bedingungen einschätzen konnte. Diese waren das Alter, das Geschlecht, der Zivilstand und die hauptsächliche Tätigkeit.
Eine Teilnehmerin stieg jedoch bald aus, da sie Schwierigkeiten hatte, unter dem Produktionsdruck ihre Träume zu erinnern. Die andern konnten aber bis zum Schluss mithalten. Die insgesamt acht Teilnehmer produzierten in diesen zwei Monaten über 200 Träume, die ich notierte und zeitlich ordnete. In dieser Zeit gab ich ihnen wöchentlich ein schriftliches Feedback, damit sie erkennen konnten, dass ihre Träume angekommen waren und von mir aufgenommen wurden, und das ihnen helfen sollte, über diese Zeit bei der Stange zu bleiben. Später stellte sich heraus, dass sich zwei Träumerinnen kannten, aber voneinander nicht wussten, dass sie am Projekt teilnahmen. Meine Frau und ich kannten uns natürlich. Im Folgenden spreche ich aus Gründen der Anonymität und der Einfachheit halber nur noch von den Träumerinnen, da die Frauen in dieser Studie deutlich in der Überzahl sind.
Ich erhoffte mir, dass die Weihnachts-Neujahrszeit, in der häufig tragische Ereignisse und problematische politische Entwicklungen stattfinden, eine günstige Zeit sei, die Untersuchung durchzuführen, da die Chance grösser ist, dass diese Ereignisse auch in der Traumwelt Wellen werfen, die von der einen oder anderen Träumerin aufgenommen wurde. In der Einführung habe ich dargestellt, wonach ich suchen wollte, nämlich nach gemeinsamen Trauminhalten, die durch gemeinsame Erlebnisse oder innere Traumkommunikation zustande kamen, und nach äusseren Ereignissen, die sich in den Träumen spiegeln. Dazu verglich ich alle Träume der Teilnehmer untereinander und stichprobenweise mit den lokalen, nationalen und internationalen Nachrichten, wie sie mir in der Zürichsee-Zeitung geboten wurde. Um ein allgemeines Bild zu erhalten, was diese Träumerinnen hauptsächlich beschäftigt, habe ich einige statistische Daten über die 205 Träume zusammengestellt. Dazu verwendete ich eine Erhebungsmethode, die sich an diejenige von Hall/van der Castle(viii) anlehnt. Zuerst soll die Frage geklärt werden, wo die Träume stattfinden.
Aus dieser Graphik ist ersichtlich, dass Träume häufig im Wohnbereich stattfinden, aber recht viele Ereignisse finden auch unterwegs auf der Strasse und im Arbeitsbereich statt. Dies spiegelt wohl die Lebensverhältnisse der Träumerinnen im Wachleben. Es ist bekannt, dass Frauen mehr vom Wohnbereich träumen als Männer, jene träumen mehr von draussen, von der Reise, der Natur etc. Hier noch einige Angaben zur Statistik: Der Arbeitsbereich umfasst alle Arbeitsorte, aber auch Geschäfte und Einkaufszentren. Region bedeutet ein von Menschen umgrenztes Gebiet wie z.B. in Italien, im Thurgau, in Zürich, aber auch Plätze, Parks etc.; Natur bedeutet Bezeichnungen wie: im Wald, auf der Wiese, in den Bergen etc. Der Freizeitbereich beinhaltet z.B. Restaurants, Sporthallen etc. Unter “öffentlich” sind öffentliche Gebäude gemeint, wie Verwaltungen, Kirchen, Krankenhäuser. Da in einem Traum mehrere Traumorte vorkommen können, ergibt die Summe aller Prozentzahlen mehr als hundert Prozent. Die Natur spielt, wie aus der Graphik ersichtlich keine wesentliche Rolle. Auch beim Wetter ist dasselbe zu vermerken, obwohl es in unserem Alltag ein relativ wichtiger Bestandteil ist, auch wenn wir hauptsächlich drinnen leben. Die Sonne wird in 3 % der Träume erwähnt, der liegende Schnee in 2 %. Wolken, Wind, Regen und fallender Schnee spielen praktisch keine Rolle. In Anspielung auf den Titel dieses Projektes sei hier noch erwähnt, dass der Zürichsee dreimal in den 205 Träumen vorkommt, das sind 1,5 %, was nicht viel ist.
Als Nächstes ist von Interesse, was für Personen in diesen Träumen auftreten, denn in 91 % aller Träume treten Personen auf. Das zeigt, welch zentrale Bedeutung die zwischenmenschlichen Beziehungen in unserem Leben einnehmen. Es mag sein, dass diese Zahl etwas geringer wäre, wenn die Männer im Projekt in der Überzahl gewesen wären, da diesen nachgesagt wird, dass der Beziehungsaspekt für sie nicht so ausschlaggebend ist.
Aus dem Diagramm wird ersichtlich, dass 53 % der auftretenden Personen oder Personengruppen dem Träumer bekannte Leute sind, davon zählen insgesamt 23 % zur weiteren Verwandtschaft und 30 % zum Bekannten und Freundeskreis. Mit Berufspersonen sind ansonst fremde Menschen gemeint, die durch einen Beruf charakterisiert werden, wie z.B. der Schreiner, die Verkäuferin. Ethnisch definierte fremde Personen sind z.B. Franzosen oder Asiaten. Fremde Personen werden vom Träumer als der Mann, die Frau bzw. das Kind bezeichnet. Ich finde es immer wieder erstaunlich, wie viele fremde Personen in unseren Träumen auftreten. Woher kommen sie? Ausserdem gibt es eine Kategorie von Personen, die wir im Traum kennen, in der wachen Realität aber nicht. Diese sind unter unklar kategorisiert. Was hat das für eine Bedeutung? Gibt es Beziehungen zu Menschen, die nur im Traum stattfinden?
Übrigens sind 88 % der Traumpersonen Erwachsene, gefolgt von 8 Prozent Kindern, 3 % Teenagers und 1 % Babys. Dies halte ich für ein interessantes Ergebnis, sind doch die Projektteilnehmerinnen fast alles Frauen, die meisten haben Kinder. Doch ist deren Durchschnittsalter 49 Jahre, d.h. ein Alter, wo die Kinder etwas aus dem unmittelbaren Lebenskreis verschwinden.
Als Nächstes folgt ein Diagramm, welches die Gefühlslage der Träumerinnen im Traum wiedergibt. In 44 % der Träume wurde diese erwähnt. Das heisst, dass in 56 % der 205 Träume keine Gefühle erlebt wurden. Das mag darauf zurückzuführen sein, dass der Gefühlstonus gering war. Es kann aber auch darauf hinweisen, dass eine Tendenz besteht, unspektakuläre Gefühle nicht wahrzunehmen.
Es ist erfreulich, dass Glücksgefühle an erster Stelle in der Gefühlsskala stehen. Unter Besorgnis sind Gefühle der Angst und der Scham zu verstehen. Unter aggressiv sind Gefühle der Wut und des Ärgers zu verstehen.
Als Nächstes sind die zwischenmenschlichen Interaktionen zu erwähnen. In 31 % der Träume konnte eine Interaktion verzeichnet werden, die unter die auf der nächsten Seite dargestellten Kategorien fallen. In den restlichen 69 % fand eine relativ neutrale oder keine Interaktion statt.
Es ist doch bemerkenswert, dass auch hier die positiven neben den eher neutralen Interaktionen im Vordergrund stehen. Es ist also keineswegs so, dass die Träume meist Schreckliches und Unangenehmes enthalten, ein Fehlschluss, auf den man kommen kann, wenn man nur sehr auffällige Träume erinnert. Sobald man sich etwas systematischer mit den eigenen Träumen auseinandersetzt, so wird erkennbar, dass dem keineswegs so ist. Bei den Freundlichkeiten sind die Träumerinnen meist involviert (91 %) und zu 9 % als Zeuge zugegen. Dort, wo sie involviert sind, sind sie meist die Geberin der Freundlichkeit (53 %), bei 38 % sind sie die Empfängerinnen der Freundlichkeit, wobei sie als Empfängerinnen diese zu 23 % erwidern. Bei 9 % handelt es sich um eine gegenseitige Freundlichkeit. Bei den Freundlichkeiten sind insbesondere Hilfs- und Schutzangebote (62 %), sowie Geschenke (21 %) und Gefühle der Zuneigung (21 %) zu erwähnen.
Etwas anders sieht es bei den Aggressionen aus. Bei 67 %der aggressiven Interaktionen sind die Träumerinnen involviert und zu 33 % als Zeuge zugegen. Aggressionen werden also in diesen Träumen aus grösserer Distanz erlebt als Freundlichkeiten. Zu 86 % erleben sie sich als Opfer der aggressiven Handlung, davon wehren sie sich zu 17 % gegen den Aggressor. Zu 14 % sind sie gegenüber sich selber aggressiv, aber in keinem Traum ist eine Träumerin der Auslöser der Aggression gegenüber anderen Traumpersonen. Aggressive Handlungen reichen von der Tötung und physischem Angriff, über verbale Unfreundlichkeiten wie Drohungen und Zurückweisungen bis zu einer versteckt aggressiven Haltung, die nur im Kontext als solche zu erkennen ist. Die aggressiven Akte sind ziemlich über die ganze Bandbreite verteilt, sodass es keine eindeutigen Präferenzen gibt. Insgesamt kann daraus geschlossen werden, dass aggressive Gefühle eher verpönt und tabu sind, deshalb werden sie mehr aus Distanz oder als Opfer erlebt. Eigene Aggressivitäten dürfen nicht stattfinden und/oder werden weniger wahrgenommen.
Über die Sexualität in diesen Träumen möchte ich mich nicht detaillierter äussern, da es sich möglicherweise um ein verzerrtes Ergebnis handelt, da ich den Träumerinnen anerbot, allzu persönliches nicht preisgeben zu müssen. Auch die Statistik der aggressiven Handlungen dürfte eventuell deshalb nicht ganz adäquat sein. Es sei nur erwähnt, dass die Träumerinnen bei den acht verzeichneten sexuellen Ereignissen fast immer involviert waren und dass sie meist mit fremden Leuten stattfanden. Unter Sexualität figurierten alle Ereignisse von erotischen Gefühlen über die Anmache, das erotische Küssen bis zum Beischlaf.
Hier noch einige ergänzende Prozentzahlen: Chromatische Farben werden in 12 % der Träume erwähnt, achromatische Farben 11 %. Die Farben spielen also in den meisten hier untersuchten Träumen keine grosse Rolle, eine erstaunliche Tatsache, wenn man bedenkt, dass der visuelle Sinn beim Menschen eine hervorragende Bedeutung hat und auch im Traum die visuelle Erfahrung generell vorrangig ist.
Aber nun zu den Quervergleichen. Ich habe untersucht, inwiefern subjektübergreifende gemeinsame Traumelemente und Traumthemen in den 205 Träumen zu erkennen sind, dabei wurden Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen innerhalb der Traumserie der einzelnen Träumerinnen ausgeschlossen. Diese werden später als Längsschnittuntersuchung vorgestellt. Ich habe die Träume innerhalb der Traumthemen chronologisch geordnet, doch gebe ich keine Daten an, da dieses meiner Meinung nach aus folgenden Gründen nicht relevant ist: Wir träumen wohl zu einer gegebenen Stunde an einem gegebenen Ort, doch findet das Traumgeschehnis ausserhalb unserer Zeit- und Raumkoordinaten statt. Es ist bekannt, dass Träume mit der Zeit und dem Raum äusserst locker umgehen. Elemente der Vergangenheit, der Gegenwart und der (möglichen) Zukunft werden assoziativ miteinander verknüpft, räumliche Gegebenheiten verändern sich im Nu. So bildet die Assoziation das verbindende Element und nicht der Zeitablauf, noch die räumliche Nähe.
Als Erstes ist das Thema der Ausgeschlossenheit zu erwähnen, die ich mit Traumausschnitten darstellen möchte.
1) “... Als ich das Haus betrat, um auch Abschied zu nehmen, standen viele Männer in dunklen Anzügen im Raum. Einige kannte ich vom Profil. Alle hatten den Rücken zu mir gekehrt und ich, als kleiner Mensch kam nicht durch. Da sah ich Y. und R. bei der Wand hinten stehen.... Y. redete dort sehr schlecht über mich. R. stand stumm neben ihr. Die Männer drehten sich zu mir um, ich schämte mich, schaute zu Boden und hatte keine Worte, mich zu wehren. Als ich es nicht mehr aushielt, verliess ich das Haus und lief weinend das Dorf hinunter.”
2) “Mit drei Freundinnen unternehme ich einen Ausflug auf die Rigi. Dort gab es einen Eistunnel, den wir besuchen wollten. Vor dessen Eingang erzählte ich meinen Freundinnen, dass dieser Ausflug einige Male als Schulreise geplant worden sei, doch nie sei es so weit gekommen. Daher freue ich mich doppelt über diese Reise. Auf einmal stellte ich fest, dass meine Freundinnen gar nicht mehr da waren. Ich ging in den Tunnel hinein, doch meine Freundinnen waren bereits um eine Kurve verschwunden. Auf mein Rufen antworteten sie, sie wären bereits um die Ecke, ich solle ihnen folgen. Es war alles grau in grau und der Boden mit einer Eisschicht bedeckt, die sehr rutschig war. Da wurde ich unsicher und rief meinen Freundinnen zu, alleine käme ich nicht übers Glatteis, ich würde zurückgehen. Ich begab mich aus dem Gebäude ins Freie und da fühlte ich mich wohl und erleichtert.”
3) “...Plötzlich kamen ganz viele Leute in den Raum, mir waren alle bekannt von früher, als ich noch jünger war. Es waren Leute, mit denen ich zum Teil keinen Kontakt mehr hatte. Alle diese Leute gratulierten dem Geburtstagskind, ich wurde nicht beachtet....”
4) “Ich war in einem Klassenlager als Köchin angestellt worden. Nach ein paar Tagen, an einem Montagnachmittag, liess man mich spüren, dass ich nicht mehr gebraucht werde. Die Lehrer, es waren alle von der Schule mit den Kindern im Lager, machten blöde Bemerkungen zu mir. Es waren jetzt Schulferien, darum wollten sie mich nicht mehr. Sie hatten jetzt ja Zeit zum selber kochen....”
5) “....Ich sagte zu ihr, dass alle mich nicht mehr mögen, mir das ganze aber egal sei. Sie sagte, ja das stimme, alle mögen dich nicht mehr. Sie müsse jetzt zuerst einmal abwarten, ob die von mir gekochten Crevetten gut gekocht seien, dann könne sie erst ein Urteil über mich bilden.”
Die ersten drei Träume wurden ziemlich am Anfang des Experimentes geträumt. Die letzten drei stammen von derselben Träumerin. Bei der Lektüre dieser Träume bekam ich das Gefühl, dass sie eventuell mit dem Traumexperiment zusammenhängen könnten. Das Experiment hatte ja eine etwas seltsame Anordnung. Die Träumerinnen sandten mir periodisch ihre Träume. Wir kannten uns alle nicht persönlich und waren also sowohl eine Gruppe als auch keine Gruppe. Jede Träumerin war auf sich alleine gestellt, obwohl sie an einem Gruppenprojekt teilnahm. Zu Beginn realisierte ich das etwas eigenartige Verhältnis zwischen uns und versuchte es wettzumachen, indem ich wöchentlich an alle einen Brief versandte, um den Teilnehmerinnen ein etwas persönliches Feedback zu geben, damit sie nicht “ganz so verloren” mit ihren Träumen herumlaborieren mussten und etwas ein Gruppengefühl entstehen konnte. Offensichtlich hatte diese etwas schwierige Situation ein Echo in verschiedenen Träumen gefunden. Einzelne Träumerinnen waren stärker davon betroffen, andere weniger. Die Träumerin des Traumes 1) war danach derart blockiert, dass sie nicht mehr am Projekt teilnehmen konnte. Der Träumerin, die dreimal das Thema aufgriff, schien die Angelegenheit auch näher zu gehen.
Als Nächstes möchte ich das Thema Fenster aufgreifen, das wahrscheinlich auch in Beziehung zum Projekt steht:
1) “Ich bin bei meinen Eltern in der Stube. In ihrer Wohnung sind die Scheiben der Fenster ausgewechselt worden. Teilweise fehlen noch Scheiben oder sind an falschen Fenstern eingesetzt worden. Plötzlich fliegt eine überdimensionale Hornisse durch die Stube. Ich stelle fest, dass am Stubentisch Herr Gassmann sitzt und teile ihm mit, dass ich am Traumprojekt mitmachen werde....”
2) “Ich steige ins Auto und fahre nach Thalwil, suche dort einen Parkplatz und begebe mich zu Fuss an die Gotthardstrasse, dorthin wo die Läden sind. Ich will mir die Schaufenster ansehen und beginne damit am Anfang der Strasse. Bald schon stehe ich vor einem grossen Schaufenster, das angeschrieben ist mit "Psychologische Praxis". Die grossflächigen Fensterscheiben gehen von oben bis nach unten zum Boden, die ganze Praxis ist eine einzige Fensterfront. Davor keine Vorhänge, jedermann kann die Vorgänge im Inneren betrachten wie in einem Schaufenster. Es handelt sich um eine Doppelpraxis. Der schon ältere Psychologe, dem die Praxis gehört, sitzt an einem Pult in der vorderen linken Ecke, dicht neben dem Fenster; er ist mir irgendwelchen schriftlichen Arbeiten beschäftigt, der grauhaarige Kopf ist über das Pult gebeugt. In der rechten vorderen Ecke sitzt ein ziemlich junger Psychologe, ebenfalls an einem Pult, umgeben von Kundschaft/Patienten: drei Personen sitzen ihm gegenüber. Man diskutiert, was aber von aussen durch die Glasscheibe nicht verstanden werden kann. Ich betrachte die Szene kurz, bin sehr erstaunt über diese öffentliche Zurschaustellung und gehe dann weiter. Ein paar Häuser weiter folgt die nächste psychologische Praxis, wieder hinter einer Glasfront ohne Vorhänge, diesmal jedoch kleiner und nur für eine Einzelperson ausgelegt. Auch in dieser Praxis sitzt der entsprechende Inhaber an einem Pult und ist mit Schreiben beschäftigt. Ich bin von Neuem erstaunt über diese Offenlegung, denke, so etwas hätte ich nun aber wirklich noch nie gesehen oder davon sprechen gehört.”
3) “Ich sprach mit zwei Frauen. Plötzlich merkte ich, dass ich ja bei Big Brother bin. Ich sagte, dass es mir bis jetzt gar nicht bewusst war, ständig gefilmt zu werden. Das zu wissen war schon ein eigenartiges Gefühl. Dann musste ich aufs WC. Ich fragte mich, ob auf dem WC auch eine Kamera installiert ist....” In diesen Träumen wird das Thema der Intimität und der zur Schaustellung angesprochen. Die ersten beiden Träume haben einen offensichtlichen Bezug zum Projekt, da mein Name, bzw. meine Tätigkeit auftaucht. Im dritten Traum tritt das Fenster nur implizit auf, da bekanntlich im Big Brother Container die Kameras hinter Einwegscheiben und Spiegeln positioniert waren. Fragen zum Bereich der Offenbarungsbereitschaft musste sich jede der Teilnehmerinnen stellen. Mussten sie doch bereit sein, einem unbekannten Mann aus ihrem persönlichen Inneren zu erzählen. Auch wenn ich ihnen offerierte, mir allzu persönliche Träume nicht zu senden, bestand diese Problematik grundsätzlich trotzdem.
Der letzte dieser Träume schneidet ein Thema an, der wohl auch zum nächsten Themenkreis gehört, nämlich die teilweise einsehbare oder nicht verschliessbare Toilette:
1) Dieser Traum wurde vorher schon mitgeteilt (Traum 3 Thema Fenster).
2) “Mit einer Nachbarin ging ich ins Dorf. Dort mussten wir zur Toilette, wo mehrere Kabinen nebeneinander waren. Diese waren durch eine Holzwand abgetrennt, reichten aber nicht ganz zur Decke und nicht ganz bis zum Boden. So konnten wir uns bestens weiter unterhalten. Bei mir hingen an einem Haken an der Wand eine weisse Bluse und eine weisse Hose. Das erzählte ich meiner Nachbarin und sagte, ich fände es reichlich komisch, dass jemand seine Kleider in der Toilette gewaschen und dann nicht mitgenommen habe. Weil diese Kleider in der etwas engen Kabine für mich hinderlich waren, wollte ich sie in die Toilette werfen....”
3) “...Ich ging in diesem Haus noch auf ein WC, das nicht verriegelbar war....”
4) “Ich musste aufs WC. ...meine Kleider stopfte ich auch in die WC-Schüssel, wobei ich fand, zwei Kleidungsstücke behalte ich doch noch. Den Rest spülte ich dann hinunter. Das WC hatte nur bis zur Hälfte eine Türe, also Kopf und Brust konnte man von draussen aus sehen. Ich ging in mein Zimmer und fing an zu schreiben. Da rief Claudia, eine Freundin von mir, ich solle kommen. Ich sagte, dass ich nur noch schnell einen Traum aufschreiben müsse.
5) “...Ich finde ein Schild mit dem Hinweis WC und komme in eine grosse Halle. Dort gibt es verschiedene Türen mit Damen- und Herrensymbol und ich gehe in ein Damen-WC. Ich bemühe mich lange, die Tür von innen zu schliessen. Sie lässt sich nur halb verriegeln und ich gebe auf. Eine ältere Dame kommt rein und probiert es auch, vergebens....”
In diesen Träumen wird das Thema der nur teilweise geschützten Intimität noch deutlicher thematisiert. Zwei der Träume weisen ein kurioses Detail auf, nämlich die Kleider, die in die Toilette geworfen werden, allerdings sind es im einen Traum die eigenen Kleider, im anderen Traum fremde. Dies scheint mir ein hochspezifisches Traumbild zu sein, das nicht häufig vorkommt, da es sehr unüblich ist, Kleider in die Toilette zu werfen. Daher halte ich es für möglich, dass hier eine Art Traumkommunikation zwischen den beiden Träumerinnen stattgefunden haben könnte.
Ein weiteres Thema sind Blumensträusse:
1) “Es ist Herbst. Ich habe vor, für jemanden einen Blumenstrauss als Mitbringsel zu kaufen. Ich gehe auf einem breiten Fussweg mit Naturboden durch eine parkartige Landschaft, viel Grünes, viel Rasen, da und dort Bäume, ein paar Blumen. ...Ich stelle erstaunt fest, dass der grössere Teil der Passanten Blumensträusse in der Hand trägt, Sträusse, die grösstenteils in hellgrünes Papier eingepackt sind, wie dies Brauch ist in vielen Blumengeschäften. Ich weiss, dass es in diesem grossen schönen Park Stände hat, wo man Blumensträusse kaufen kann. Ich gehe in Richtung eines solchen Standes.
2) “Ich bin mit einer Gruppe an einem Seminar. Ich rede vor allem mit einem Mann, den ich real kenne. Mich überrascht im Traum, wie nahen Körperkontakt ich beim Reden aufnehme, denn unser Verhältnis ist eigentlich sachlich. Wir gehen dann in einen Blumenladen, wo er mir Blumen kaufen will. Er wählt schliesslich gelbe Freesien und kauft für seine Frau gelbe Rosen. Wir gehen in den Kurs zurück, wo er neben mir sitzt. Seine Frau sitzt weiter hinten und er bringt ihr die Rosen.
3) “Ich war an einem Gruppenwochenende, wo wir in wechselnden Gruppen miteinander diskutierten. ... Zwischendurch pflückte ich Blumen und blühende Sträucherzweige. Mir fielen deren intensiven schönen Farben besonders auf, sie waren fast übernatürlich.”
Blumen pflücken, kaufen, erhalten und schenken sind relativ übliche Tätigkeiten, zu der fast jeder Mensch einen Bezug hat. So fallen die drei Träume insgesamt nicht sonderlich auf, obwohl sie ein gemeinsames Element haben. Allerdings gibt es in Traum 2) und 3) eine weitere Gemeinsamkeit, nämlich die Gruppensituation. Die Kombination dieser beiden Elemente ist schon spezifischer und könnte auf einen gewissen Austausch im Traum schliessen lassen. Ausserdem kommt auch ein Bezug zur Versuchssituation, unserer Gruppe die keine richtige Gruppe ist, infrage. Es zeigt sich hier eventuell der Wunsch nach grösserer Nähe und einem persönlicheren Austausch von persönlichen Inhalten und Freundlichkeiten.
Ein wesentlich düstereres Thema ist der fatale Sprung/Fall aus grösserer Höhe:
1) “Dieser Traum spielt in der Wohnung.... Mein jüngstes Kind spielt mit einem befreundeten Mädchen auf dem Balkon im 4. Stock, währendem ich selbst im Schlafzimmer im Bett liege und lese. Plötzlich höre ich das Nachbarsmädchen laut und völlig verstört um Hilfe schreien. Ich springe mit einem Satz aus dem Bett, durch die Wohnung und stürze auf den Balkon. Zu meinem Entsetzen sehe ich, dass mein fünfjähriges Kind übers Balkongeländer gefallen ist, jedoch an der Hand vom schreienden Mädchen festgehalten wird, d.h. die beiden Kinder halten sich mit letzter Kraft an der Hand. Ich stelle mich vorsichtig - um die Kinder nicht zu erschrecken - daneben und packe mit einem schnellen Griff das Handgelenk meines Kindes, ziehe es hoch und hebe es in den Balkon hinein.”
2) “Eine Frau will sich das Leben nehmen. Sie ist sehr verzweifelt. Ich stehe mit anderen auf einem Balkon. Sie ist noch im Zimmer und wir versuchen von aussen, sie zu überreden. Jemand will die Balkontür verschliessen und sie damit einsperren. Ich lehne das ab, weil wir dann keinen Einfluss mehr auf sie nehmen können. Sie hat ein Kind, das auch irgendwie da ist. Wir versuchen einerseits an ihre Muttergefühle zu appellieren, aber auch zu verhindern, dass der Junge mitkriegt, was mit seiner Mutter los ist....”
Diese beiden Träume haben einige Elemente gemeinsam. Die Todesgefahr, das verzweifelte Gefühl, der Balkon, das Kind, die mütterlichen Instinkte und der verhinderte Sturz. Diese Verknüpfung von so vielen Elementen lässt vermuten, dass eine Traumkommunikation stattgefunden hatte, wahrscheinlich aufgrund des erhöhten emotionalen Gehaltes. Ausserdem scheint es möglich, dass es sich dabei um eine mosaikartige Spiegelung eines Ereignisses handelt, das im wachen Leben stattgefunden hatte, da sie in derselben Nacht zum Sonntag, dem 19.11.2000 geträumt wurden, was als Hinweis gelten kann, dass das Ereignis im zeitlichen Rahmen der wachen Realität stattgefunden haben könnte. Die Träumerinnen kannten sich zu diesem Zeitpunkt nicht. In der Zürichsee-Zeitung war allerdings ausser regionalen Verkehrsunfällen kaum etwas in dieser Richtung zu finden. Einzig von einem Sturz eines Jugendlichen aus einem Fenster im vierten Stock am darauffolgenden Sonntag wurde berichtet. Allerdings wurden keine Angaben über Ursachen und Zusammenhänge gemacht. Von einer zumindest versuchten Verhinderung des Unglücks war nichts zu lesen. Es ist anzunehmen, dass in dieser Zeitung kaum über private Tragödien berichtet wird.
Das Thema Abspringen hatte allerdings noch weitere Wellen in den Träumen geworfen:
1) “...Dann mussten wir noch ein grösseres Stück zu Fuss gehen. Der Weg, die Strasse war ziemlich nahe am Bahngeleise, das jetzt über eine ziemlich hohe Brücke führte. Plötzlich sprang ein Mann aus dem Zug. Er war sofort tot. Ich sah dem Mann ins Gesicht und stellte fest, dass er einer jener Reisenden war, der mir durch seinen traurigen Ausdruck aufgefallen war. Bald darauf sprang nochmals ein Mann aus dem Zug. Er wurde sehr schwer verletzt und ich bat meinen Mann, sofort einen Arzt anzurufen. Ich blieb beim Verletzten und sah, dass er ebenfalls einer von den "Traurigen" war. Schliesslich sprang noch ein dritter Mann aus dem Zug. Ich eilte zu ihm und dachte bei mir, ich glaub’s ja nicht, auch er ist einer von den "Traurigen"! Er sah furchtbar schlecht aus; die eine Gesichtshälfte war totenblass mit tiefen Furchen. Die andere Gesichtshälfte war von normaler Hautfarbe. Ich bat meinen Mann wieder, dringend einen Arzt herzurufen. Ich fürchtete, der Verletzte könnte nicht überleben.
2) “... Wir fuhren mit der Sesselbahn in ein hübsches Dorf, das auf einem Hügel mit schöner Aussicht lag. Doch ich verpasste den Ausstieg und musste deshalb aus grösserer Höhe abspringen, was gut gelang....”
3) “...Dann kamen wir unten an und traten aus der Türe. Da stellten wir fest, dass sich der Hoteleingang hoch über der Strasse befand. Man war gezwungen, die Höhe etwa eines Stockwerkes mit einem mutigen Sprung nach unten zu überwinden. Mir war mulmig zumute, erinnerte mich aber plötzlich, dass ich ja schon einmal hier gewesen sei und der Sprung damals auch geglückt sei. Trotzdem zögerte ich noch ein wenig.... Hinter mir sammelten sich langsam immer mehr Menschen an, die auch hinunterspringen wollten (mussten). So nahm ich meinen Mut zusammen und wagte den Sprung in die Tiefe. Ich kam heil auf der Strasse unten an und war froh, dass es so gut geklappt hatte. Danach folgten auch die anderen.
Der erste Traum steht noch in einem näheren Zusammenhang mit den beiden Träumen zum Thema fataler Sprung. Der erste und der zweite Traum zeichnen sich dadurch aus, dass sie beide das Thema des Sprungs aus einem Verkehrsmittel thematisieren. Traum 2) und 3) berichten beide von einem geglückten Sprung. Das Thema springen ist also eines der wesentlichen Themen, die von mehreren Träumerinnen aufgegriffen wurden. Im Gegensatz zu den Themenkreisen Fenster/Toilette ist aber kein Zusammenhang mit dem Traumprojekt zu erkennen. Verkehrsmittel spielen in Träumen häufig eine Rolle.
Drei Träume greifen das Thema im Zusammenhang mit Reisegepäck auf:
1) “... Plötzlich bin ich mit meinem Mann in Paris. Wir haben unser Gepäck am Bahnhof im Schliessfach eingestellt. Es sind zwei Rucksäcke und ein Schalenkoffer. (Wir reisen nie mit Koffern). Als wir unser Gepäck wieder abholen, merke ich, dass der Koffer leer ist. Ich bin traurig, weil wir darin sämtliche Reiseandenken und ein Geschenk für meine beste Freundin aufbewahrt haben.”
2) “Ich fuhr mit der SZU nach Langnau und wollte weiter vorne im Wagen etwas deponieren, was ich am anderen Tag dann wieder holen wollte im Zug. Als der Zug bei der zweitletzten Station hielt, überlegte ich es mir anders und wollte das deponierte wieder holen und mitnehmen. Ich stieg aus und dabei fuhr mir dieser Zug ab, obwohl ich darin hätte bleiben können. Das ärgerte mich, denn der nächste Zug fuhr erst 20 Minuten später. Ich sah den Zug abfahren, wollte auf ihn zulaufen und musste an einer Abschrankung stehen bleiben. Rechts und links der Abschrankung wäre es aber offen gewesen, so hätte ich zum Zug rennen können. Aber ich blieb brav vor der Abschrankung stehen und sah den Zug abfahren...”
3) “Ich war in einer Telefonkabine, meinen Rucksack liess ich draussen neben der Kabine. Als ich auflegte und auf den Zug wollte, der gerade einfuhr, sah ich, dass mein Rucksack nirgends mehr war. Ich stieg in den Zug ohne Rucksack und Billett. Im Traum meinte ich, es sei Wirklichkeit, sehr froh war ich, als ich erwachte und alles nur ein Traum war.”
Es ist bekannt, dass Eisenbahnträume relativ weitverbreitet sind, insbesondere auch in Kombination mit Missgeschicken, wie den Zug verpassen, auf dem falschen Bahnsteig sein, kein Ticket haben, das Gepäck verlieren usw. Obwohl hier eine Traumkommunikation nicht auszuschliessen ist, haben diese drei Träume keine diesbezügliche Aussagekraft.
Mehrere Träume nehmen auch auf das Singen Bezug:
1) “Ich weiss nur noch, dass ich singen sollte. Es gelingt mir nicht so recht, d.h. ich bin wohl anwesend, doch andere singen für mich.”
2) “Ich war in der Chorprobe. Wir mussten sehr eng zusammenstehen. Das Werk, das wir einübten, war mir bekannt, weil ich es schon einmal gesungen habe.... Ich hatte aber keinen Klavierauszug, nicht einmal die Noten meiner Stimme. In meinen Händen hielt ich lediglich ein kleines Heft mit dem Text, etwa in der Grösse von 12 auf 9 cm. Mit etwas Verspätung traf noch eine weitere (unbekannte) Chorsängerin ein. Sie stellte sich neben mich hin. Es war eine ganz schmächtige Frau mit einem weissen, aber ganz verfilzten und vergilbten Wollpullover. Sie drückte sich total an mich, zudem hatte sie keinen Klavierauszug und musste bei mir schauen. Für mich war das nicht sehr angenehm, ich fühlte mich total eingeengt, weil wir ohnehin schon wenig Platz hatten....”
3) “... Dann sollen wir singen und sie pickt mich heraus. Sie gibt mir ein kleines Liederheftchen. Ein paar Lieder sind mir bekannt, ich weiss aber nicht mehr, wie die Melodie geht und sage es ihr. Sie spielt sie auf dem Klavier an und ich fange an zu singen. Es ist kein Problem für mich, denn ich habe vor Kurzem bei einer Veranstaltung öffentlich gesungen.”
Alle Traumsängerinnen haben diesbezügliche Erfahrung im Wachleben, was diese Träume erklären mag, auch wenn mehrere Komponenten übereinstimmen, das Singen, das Liederheftchen und die Probleme mit dem Singen. Anderseits ist einzuwenden, dass gerade gemeinsame persönliche Präferenzen und Erfahrungen zu einem Austausch führen können, sowohl im Traum-, wie auch im Wachleben, wo sich ebenfalls Menschen mit gemeinsamen Vorlieben, gemeinsamer Gesinnung oder gemeinsamen Absichten zusammenfinden.
Das Thema Glatteis wurde von zwei Träumerinnen aufgegriffen:
1) “... Es war alles grau in grau und der Boden mit einer Eisschicht bedeckt, die sehr rutschig war. Da wurde ich unsicher und rief meinen Freundinnen zu, alleine käme ich nicht übers Glatteis, ich würde zurückgehen. Ich begab mich aus dem Gebäude ins Freie und da fühlte ich mich wohl und erleichtert.”
2) “... Auf der Strasse hat es Glatteis. Ich komme fast nicht vorwärts, weiss aber, dass der Bus nicht mehr lange auf mich wartet. Ich verliere immer etwas, seien es die Handschuhe, die Skistöcke etc. Endlich und in letzter Minute erreiche ich den Bus.”
Dieses Traumexperiment fand im Winter statt, es dürfte deshalb nahe liegen, dieses Thema aufzugreifen. Beide fühlen sich auf dem Eis unsicher, was aber in der Natur der Sache liegt.
Eine weitere Gemeinsamkeit besteht im Thema des Glücksspiels:
1) “Ich träumte, dass meine Frau und ich im Lotto gewonnen hatten, es waren mehrere kleine Einzelgewinne. Wir mussten uns sogar wehren, weil eine Zahl falsch registriert worden war. Insgesamt erhielten wir ca. 150.- Fr.
2) “.... Ich rechne mir aus, wie viel Reisen beim Millionenlos bei 120'000 oder 130'000 Franken zu gewinnen sind, bei einem durchschnittlichen Preis für eine Reise von 5000 Franken. Ich komme aber nicht zu einem Ergebnis.
Diese Träume wurden von meiner Frau und mir geträumt. Nach dem Traum 1) wachte ich auf, um ihn mir zu notieren. Dabei entdeckte ich meine Frau, die später zu Bett ging, wie sie am Teletext die Lottozahlen nachschaute. Obwohl das Lottospiel und Lose bei uns ein gewisses Thema bildet, das von meiner Frau alle paar Monate angesprochen wird, spielte es zurzeit keine Rolle. Es ist daher möglich, dass ich da träumend etwas auflas, das in der Luft lag. Traum 2) wird durch das Interesse meiner Frau erklärt. Das Interesse von uns beiden ist wohl auch an der Höhe der Frankenbeträge zu erkennen.
Eine kuriose Gemeinsamkeit bilden die “Löcher im Bauch”:
1) “... Sie ist bis auf Hemd und Unterhosen ausgezogen. Sie berichtet von ihrer grossen Operation und zeigt auch eine Narbe, welche vom Bauchnabel bis zur Achsel reicht. Sie erklärt, dass sie eine grosse Magenoperation durchmachte. Auf der Höhe des Magens befindet sich ein Loch und sie kann ihren Magen durch dieses Loch beliebig nach aussen ziehen!”
2) “... Später als sie ihre Sachen auspackt, will sie wissen, wie uns ihr Pyjama gefällt. Es ist nicht der, der wir ihr geschenkt haben. Es sieht aus wie ein Männerpyjama und sie macht uns auf eine halbtransparente runde Plexiglasscheibe aufmerksam, die in der Höhe vom Bauch (solar plexus) angebracht ist. Sie erklärt, in China sei das gerade der grosse Renner. Wozu die Scheibe gut ist, ist nicht ganz klar. Sie oder ich vermuten, als Zielscheibe zum dreinschlagen.”
Gemeinsam an diesen Träumen ist das “Loch im Bauch” und auch die spärliche Bekleidung, Unterwäsche - Pyjama. Da es sich hier um ein sehr eigenartiges Motiv handelt, könnte es sich hier um einen träumerischen Bilderaustausch handeln, der jedoch in einen anderen Kontext gesetzt wurde.
Zwei Träumerinnen träumten vom Niederdorf:
1) “Ich war in der Stadt Zürich, die etwas anders aussah, mit dem alten VW Polo, den ich früher hatte. Ich zwängte mich durch enge Gassen im Niederdorf. Ein Mann sprang mir im Gedränge sogar über die Motorhaube. Ausserdem sah ich eine Frau, die ich (nur im Traum) kannte und die mit einer Freundin in den Ausgang ging und die daran war, in eine Türe zu gehen. Auch hatte es da Baustellenverkehr und es war möglicherweise Einbahn. Ein Baukipper kam mir entgegen. So war ich recht eingekeilt.”
2) “Ich befinde mich im Niederdorf in Zürich und suche nach einer bestimmten Adresse bzw. Hausnummer. Habe etliche Mühe, diese zu finden. Ich komme fast nicht vorwärts, da überall Baustellen sind. Dauernd werde ich auch angerempelt. ... Endlich kann ich in eine Boutique flüchten.
In diesen beiden Träumen gibt es einige Gemeinsamkeiten. Das dichte Gedränge im Niederdorf, die Rempeleien, die Baustellen und die Frau, die durch eine Türe geht. Ich habe nach diesen Träumen im Niederdorf nachgeschaut und es befanden sich zurzeit keineswegs Baustellen. Das Gedränge ist dort an Wochenende-Abenden allerdings üblich, was einen Teil der Träume erklären mag. Doch scheint es mir, dass auch hier ein gewisser Austausch, möglicherweise sogar eine Begegnung stattfand, da die geheimnisvolle Traumbekannte im einen Traum durchaus die andere Träumerin gewesen sein könnte, die eine Boutique betrat.
Eine weitere Gemeinsamkeit ergab sich beim Fliegen:
1) “... Sofort riss ich das Autosteuer wie ein Steuerknüppel zurück und flog mit samt dem Auto in die Luft. Es ging gut, ich stieg schnell. Bald hatte ich einen weiten Panoramablick durch die Windschutzscheibe über die Stadt und den See. Es war für einen Moment herrlich. Doch die Landschaft wurde bald wie eine Landkarte und unecht. Der Traum verblasste schnell und ich wusste nicht wie aufhalten.”
2) “... Der Sohn hat einen Scooter bekommen und ich zeige ihm nun, wie man mit diesen Motorrädern fährt. (ich fahre tatsächlich einen 125 cm³ Roller). Als sich der Scooter in Bewegung setzt, merke ich, dass ich damit sogar fliegen kann. Es ist wunderschön und ich setze in einem Park mit einem Teich zur Landung an.”
In Strassenfahrzeugen, insbesondere Motorrädern, kann gelegentlich das Gefühl des Fliegens auftreten, was diese Träume erklären würde. Der erste Traum stammt von mir und ich träume gelegentlich vom fliegen. Was mich an diesem Traum erstaunte, war, dass ich mit dem Auto flog, bin ich es mir doch gewohnt, ohne Hilfsmittel zu fliegen. Hatte ich diese Idee woanders aufgeschnappt?
Gespräch mit Halb- oder Dreivierteltoten:
1) “.... Der lag nun regungslos da auf dem Bauch. Es sah nicht gut aus. An einem Oberschenkel trat Flüssigkeit aus einem Loch aus und die Fusssohlen schienen verbrannt. Der Retter bedeutete mir, dass er wahrscheinlich sterbe, wenn er jetzt erwache und etwas sage, wie "es sei ok", oder so. Das sei meist das Zeichen, das sie hinübergingen, oder schon dort seien. In der Tat sagte der Pilot so etwas Ähnliches und verschwand, d.h. nur sein toter Körper blieb zurück.”
2) “.... Während ich den Toten betrachte, bewegen sich seine Augen, seine Arme. Ich bekam Angst und machte meine Schwiegermutter darauf aufmerksam, dass er gar nicht tot sei. Diese streitet es ab und meint, dass es nur noch die Nerven sind, welche sich noch nicht beruhigt hätten. Da öffnet er wieder die Augen. Ich frage ihn, ob er den nicht kalt habe? Nein, überhaupt nicht. Dann ist er wieder tot.”
Diese Traumgespräche mit Toten, die beteuern, dass es so in Ordnung sei, scheinen mir ungewöhnlich und auffällig. Auch hier könnte ein Austausch von Vorstellungsmustern stattgefunden haben.
Es gibt noch einen Zusammenhang mit scheintoten Tieren:
1) “... Da taucht ein Tierarzt oder Jäger in Begleitung von zwei oder drei weiteren Leuten auf und befreit mich sogleich vom Griff des Hundes. Ich sehe jetzt, dass der Hund plötzlich wie ausgemergelt wirkt und den Eindruck erweckt, als ob er in zwei oder drei Teile zerlegt, d.h. tot sei. Ich frage den Jäger oder Tierarzt, ob man in einem solchen Fall die Tiere wirklich immer zu töten brauche, was verneint wird. Er sagt, auch dieser riesige Hund sei nicht tot, das mache nur so den Eindruck, er habe ihn lediglich betäubt.
2) “Mit Frau K. und einer jüngeren Frau mit zwei Töchtern, ca. 8 und 10 Jahre alt, gehen wir zum wegen Krankheit tot gespritzten Kater Lauser um ihn zu begraben, zu verabschieden. Als ich ihn in die Arme nehme, rennt er total erschreckt und ausser sich davon in einen Hof. .... Zu den traurigen Kindern sage ich: "Ihr seid immer dabei, wenn es so etwas Trauriges mit Katzen gibt. Es ist natürlich auch ein Wunder, dass er lebt" (nach der Spritze, die ihn hätte töten sollen). Ich hatte ihn im Arm, da er immer noch sehr aufgeregt ist. Sein Herz fühle ich pochen. Wir kommen ins Büro O. - die wissen schon was passiert ist. Frau H. untersucht ihn und scheint kompetent. "Er braucht jetzt starke Mittel, denn zusätzlich zu seiner Krankheit hat er ja jetzt einen Infarkt erlitten", sagt sie.”
Auch bei diesen beiden Träumen handelt es sich nicht um eine häufige Szene, darum halte ich die Übereinstimmung trotz aller Verschiedenheiten für bedeutsam.
Um eine Vorstellung zu erhalten, wie häufig Übereinstimmungen auftreten habe ich diese Anzahl (36) mit der Gesamtzahl von 205 Träumen verglichen, was einen Prozentsatz von etwa 18 % ergibt. Anzumerken ist, dass ein Traum mehr als eine Übereinstimmung aufweisen kann und daher unter Umständen mehrfach gezählt wurde. Auffällig war, dass solche Träume am Anfang des Experimentes häufiger auftraten, obwohl mir zu Beginn weniger Träume zugesandt wurden. Innerhalb der ersten 20 Tage (von ca. 60) erhielt ich 29 % Träume mit übereinstimmenden Merkmalen, im zweiten Drittel 23 % und im letzten Drittel 10 %. Das könnte auf ein Phänomen hinweisen, das schon Linda Magallòn in ihrem Buch (ix) erwähnt, nämlich dass der anfängliche Enthusiasmus solche Phänomene begünstigt. Im Laufe der Zeit treten aber Ermüdungserscheinungen auf. Möglicherweise trat auch immer mehr die Bemühung, überhaupt Träume zu erinnern und aufzuschreiben, in den Vordergrund. Der Aspekt des gemeinsamen Träumens schwand aber im Bewusstsein der einzelnen Träumerinnen etwas, da das Gruppenerlebnis bei dieser Anordnung stark im Hintergrund war.
Um diese Zahl von 18 % in ein weiteres Verhältnis zu setzen, habe ich auch nach Übereinstimmungen innerhalb der einzelnen Traumserien, die mir zugesandt wurden, untersucht. Es handelt sich hierbei also um Längsschnitte. Die Anzahl der Übereinstimmungen beträgt 259 in den 205 Träumen, das sind 126 %. Wiederum war es möglich, dass ein Traum mehrere Übereinstimmungen aufweist, weshalb die Anzahl der Übereinstimmungen die Anzahl der Träume hier übersteigt. Der Vergleich zwischen den 18 % und den 126%, was einem Verhältnis von 1:7 entspricht, weist aber darauf hin, dass Übereinstimmungen im Quervergleichen deutlich seltener sind.
Die Übereinstimmungen in den Längsschnitten sind also recht zahlreich und haben auch einen etwas anderen Charakter. Sie sind weniger situativ, sondern eher Objektbezogen. In den Längsschnitten treten die gleichen Traumobjekte oder Traumsymbole häufiger auf, aber jedes Mal in einem anderen Zusammenhang. Sie spiegeln die bedeutsameren gegenwärtige und die vergangenen Lebenssituationen, die gegenwärtigen psychischen Präferenzen und Einstellungen. Ich möchte nicht detailliert darauf eingehen, da wir sonst etwas vom Thema abkommen. Hier seien nur ein paar Themen und Traumobjekte erwähnt, die häufiger in Träumen vorkamen, damit die Leserin sich in etwa ein Bild machen kann: Familie, Ehegatte, Kinder, alter Wohnort, jetziger Wohnort, Arbeitsplatz, Bahnfahrten, Autos, Gruppen von Frauen, bedrohliche Situationen, Krankheit, ausgestellt sein etc.
Zusammenfassung
In diesen 205 Träumen haben sich im Quervergleich einige, wenn auch nicht sehr zahlreiche Übereinstimmungen ergeben. Als Ursache für diese kommen das Setting der Untersuchung, der gemeinsame Erfahrungshintergrund, aber auch ein Austausch von Motiven, der als telepathisch bezeichnet werden kann, infrage. Um der Frage nach einer telepathischen Kommunikation genauer nachgehen zu können, wäre es sinnvoll gewesen, wenn die Lebensumstände und die Persönlichkeiten besser bekannt gewesen wären. Es scheint, je anonymer und “objektivierender” eine Untersuchung zum Thema Traumkommunikation ist, desto schwieriger dürften diese Phänomene erkannt werden, da sie stark in einen vielseitigen persönlichen Kontext eingebunden sind. Es ist ausserdem anzunehmen, dass ein solcher Austausch bei Menschen häufiger auftritt, die sich gut kennen und sich auch im täglichen Leben aufeinander beziehen. Es hat sich gezeigt, dass brauchbare Resultate auch in einer kürzeren Zeit als in den zwei Monaten erzielt worden wären. Zu denken ist an eine Versuchsperiode von einem Monat.
Die statistische Auswertung und auch die kurz erwähnte Längsschnittuntersuchung zeigen, wie ausgeprägt die Träume sich auf Erlebnisse und Erkenntnisse aus dem gegenwärtigen und vergangenen Leben, sowie auf eigene Einstellungen, Reaktionsweisen und Motivationen beziehen. Doch gibt es einige Träume und Sequenzen, die keinen erkennbaren Bezug zum täglichen Leben aufweisen oder gar phantastische Züge aufweisen. Ausserdem zeigt sich, dass ein überwiegender Teil der Träume einen neutralen oder positiven Charakter aufweisen. Dies zu erwähnen ist mir immer wieder wichtig, da die Träume im Volksmund keinen sonderlich guten Ruf geniessen. Sie werden als ein seelisches Produkt angesehen, das man besser nicht zu viel beachten sollte.
Es wäre zu wünschen, dass das Thema Traum vermehrt aus der psychotherapeutischen Ecke hervorgeholt wird, und vermehrt auch deren kollektiver Aspekt mehr Beachtung findet. Qualitative und quantitative Traumstudien über die Eigenheiten und die Beziehung der Träume untereinander innerhalb einer spezifischen Personengruppe könnten interessante Aspekte und neue Fragestellungen aufwerfen. Zu denken wäre an Träume von Altersgruppen, Familien, Vereine, Firmen etc. Auch für den privaten Gebrauch kann es interessant sein, seine Träume zu notieren und mit denjenigen aus dem Familien-und Freundeskreis zu vergleichen.
© Christoph Gassmann 2002; traumring.info
i: Donahoe, James J.: Die Kunst des Träumens, 1980 im Sphinx Verlag Basel, S. 55.
ii: Magallòn, Linda Lane: Mutual Dreaming, Pocket Books, New York, 1997. S. 17f
iii: Magallòn, Linda Lane: Mutual Dreaming, S. 178
iv: Watkins, Susan M.: Dreaming Myself, Dreaming a Town, Kendall Enterprises, New York, 1989; Träumendes Ich - Träumende Stadt, Seth-Verlag, Auenstein 2021
v: ebenda, S. 45 ff.
vi: Eisenbud, Jules: The Dreams of two Patients in Analysis, interpreted as a thelepathic “rève à deurx. The Psychoanalytic Quarterly 16:39-60, 1947
vii: 1 = nie, 2 = selten, 3 = manchmal, 4 = häufig, 5 = jede Nacht
viii: zu finden in: Domhoff G.W.: Finding meaning in Dreams, A quantitativ Approach, Plenum 1996
ix: Magallòn, Linda: Mutual Dreaming, Pocket Books, New York 1997
Seit 2018 Chief Publisher, Mitbegründer, Verwaltungsrat und Teilhaber von smartmyway. Übersetzer und Autor. Vorher als Geschäftsführer des Seth-Verlags sowie als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Universität Lugano tätig.
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